Mila, 22

Ich lache und bin depressiv

Ich bin Mila. Ich bin depressiv. Eine Depression ist eine Krankheit, die den Menschen auf physischer und psychischer Ebene erfasst und somit in seinem ganzen Denken und Erleben sehr stark beeinflusst.

Als ich 14 Jahre alt war, wurde meine Mutter brutal ermordet. Mit dem Tod meiner Mutter und der neuen Situation war ich komplett überfordert. Nach ihrem Tod wurde mir erst bewusst, dass mich meine Mutter immer wieder physisch und psychisch missbraucht hatte. Zu diesem Zeitpunkt war ich introvertiert und hatte ein geringes Selbstbewusstsein. Nach ihrem Tod fühlte ich mich plötzlich erleichtert und frei. All die Selbstzweifel und Komplexe verschwanden. Aber anstatt mich dem Tod meiner Mutter zu stellen, hielt ich mich beschäftigt. War unterwegs. Feierte viel. Flüchtete. Verleugnete. Ich denke, das ist mir eine Zeit lang gut gelungen. Vielleicht zu gut. Bis zu dem Zeitpunkt, als sich meine Depression leise von hinten anschlich und mich mit ihrem vollen Ausmass überrumpelte.

Wie aus dem Nichts verlor ich mein Gleichgewicht und fiel in ein tiefes, schwarzes Loch. Ich war nicht mehr fähig, mein Leben zu leben. An diesem Punkt musste ich mir eingestehen, dass ich nicht mehr konnte, depressiv war und dringend Hilfe benötigte. Ich fühlte mich von allen unverstanden und alleingelassen. Wenn man an einem Punkt angekommen ist, an dem nichts mehr Freude macht, man nur noch funktioniert, dann wird nichts einfach von selbst wieder besser. Dann steckt man mittendrin in der Depression, ist völlig handlungsunfähig, wie gelähmt. Körperlich war ich noch anwesend, aber geistig von der Welt verschwunden. Wie in einer anderen Welt. Auf einmal fühlte sich mein Leben 8-mal schwerer an. Mit jeder Situation war ich komplett überfordert. Ich zog mich von allen zurück, hatte Panikattacken und grosse Stimmungsschwankungen. Dazu kamen Schwindelanfälle, Bauchschmerzen, Übelkeit und Herzrasen. Und schlussendlich noch Suizidgedanken. In den schlimmsten und dunkelsten Phasen meines Lebens habe ich mich mehr als einmal gefragt, warum ich mir das alles eigentlich noch antue? Warum ich mich immer wieder mühsam aufrapple, nur um dann doch wieder zusammenzubrechen. Warum ich nicht einfach aufgebe. Schluss mache. Endgültig. Manchmal waren diese Gedanken sehr konkret. Bei jeder Brücke überlegte ich mir, runter zu springen. Bei jedem Zug stellte ich mir vor, mich vor ihn zu werfen. Bei jedem Messer, welches ich sah, überlegte ich mir, damit meine Pulsadern aufzuschlitzen. Das war erschreckend, beängstigend aber irgendwie auch beruhigend. Wie ein leuchtendes Schild «Notausgang» in einem langen, dunklen Flur. An einem Abend hatte ich den Entschluss gefasst und wollte diesen «Notausgang» benutzen. Mit Tabletten wollte ich mir das Leben nehmen. Aber ich konnte es nicht. Die Angst davor, dass es nicht funktionierte, hielt mich davon ab. Dies war mein absoluter Tiefpunkt.

Am darauffolgenden Tag beschloss ich, mich in eine Klinik einweisen zu lassen. Immer wieder hatte ich das Gefühl, dass ich am falschen Ort bin und dort nicht hingehöre. Aber der Aufenthalt war eine Schutzmassnahme. Ein Schutz vor mir selber, damit ich mir nichts antun konnte. Aber es war auch das Beste, was mir passieren konnte. Die Verantwortung abzugeben, nicht mehr funktionieren zu müssen, sich nicht mehr zu verstecken. Ich konnte einfach nur sein und versuchen, mich selbst wiederzufinden. Drei Wochen blieb ich in der Klinik, machte Gruppen- und Einzeltherapien. Natürlich wollten die Ärzte nicht, dass ich nur an Gesprächstherapien mitmachte, sondern auch Antidepressiva nehme. Ich wehrte mich lange dagegen, liess mich aber schliesslich überzeugen. Anfangs fühlte es sich komisch an, mir war häufig schwindelig. Als ich die Klinik wieder verliess, war ich nicht gesund. Ich lernte aber, dass das Leben nicht immer schwer sein muss. Dass es auch leichter, freundlicher, heller sein kann. Der Alltag kehrte zurück und ich fühlte mich schnell wieder überfordert, allein und verloren. Ein erneuter Klinikaufenthalt folgte und ich musste viele verschiedene Antidepressiva ausprobieren, um endlich eines zu finden, worauf ich gut reagierte.

Ob ich die Depressionen jemals ganz loswerde? Ich denke nicht. Ich denke, meine Depression wird mich immer begleiten. Sie gehört zu mir und ich versuche, bestmöglich damit zu leben. Ich war auf meinem Weg verloren und hatte das Gefühl, mein Leben sei zu Ende. Heute bin ich auf dem richtigen Weg. Es gibt immer noch Dinge, die ich an mir verbessern will. Ich arbeite daran. Noch heute habe ich Panikattacken und verspüre emotionale Schmerzen, die sich anfühlen, als würde ich im nächsten Moment sterben. Aber ich bin schon weit gekommen. Ausbildungstechnisch habe ich gute Aussichten und das Leben ist schöner, als ich noch vor ein paar Jahren gedacht habe. Das Leben ist nie hoffnungslos, es gibt immer Hoffnung. Dies möchte ich meinem früheren «Ich» und allen sagen, die sich allein und unverstanden fühlen. Wie ich früher. Alle, die keinen Sinn mehr in ihrem Leben sehen. Aber für mich hält mein Leben mehr bereit, als ich je gedacht habe. Und jetzt bin ich neugierig, was da alles noch so kommt.