Henrik, 24

Nur eine Phase oder bin ich schwul?

Ich bin Henrik. Ich bin bisexuell. Das ist, wenn man sich sowohl zu Männern als auch zu Frauen sexuell hingezogen fühlt.

Es gab eine Zeit, in welcher ich grosse Verwirrung und insbesondere Unsicherheit verspürte. Ich stellte mir oft die Frage, was mache ich eigentlich und wo gehöre ich eigentlich hin? Die meiste Zeit meines Lebens war ich mit Frauen zusammen, was mir auch super passte. Dies war für mich normal und ich dachte auch nicht gross über etwas anderes nach. Doch plötzlich war da ein Mann in meinem Leben und es war irgendwie aufregend und neu. Ich liess mich auf das Ganze ein und liess mich treiben. Zeitgleich war dies aber eine Achterbahn der Gefühle: Bin das ich? Warum jetzt plötzlich? Ist es falsch? Es dauerte über ein halbes Jahr, mich selbst zu finden und mich vor allem darauf einzulassen. Gegen aussen nahm ich es mit grossem Elan an, doch innerlich ging es mir zu dieser Zeit ziemlich mies. Nicht, dass ich ein Problem mit LGBT-Menschen habe, mehr dass ich da jetzt auch dazu gehöre, unerwartet. Ich dachte immer, es ist nur eine Phase und wird dann schon wieder vorbeigehen. Ich dachte mir, erzählen musst du es niemandem, denn das kann ja nicht wahr sein, es ist nur vorübergehend. Zeitgleich nahm mein Alkohol-, Zigaretten- und Drogenkonsum rapide zu. Ich wollte vergessen, verdrängen und neu beginnen. Es war ein innerlicher Kampf, welcher ich versuchte, mit Anderem zu verdrängen. Zu Beginn redete ich mir bezüglich meines erhöhten Konsums ein, dass, sobald ich wieder «normal» bin, dies ebenfalls aufhören wird. Es fing leicht mit Hanf an, ging dann hinüber zu Speed, Ecstasy bis hin zu Kokain. Auch hier sagte ich mir: «Ich bin nicht süchtig, es ist nur eine Phase.»

Der Dreh- und Wendepunkt kam nach fünf Monaten im Ausland. Feiern ohne Ende und eine neue Droge: Ketamin. Damit werden Pferde betäubt und es verleiht dir ein sogenanntes «Out of body experience» Gefühl. Erneut etwas ganz Neues und Anderes. Doch diesmal war etwas grundlegend anders. Die kommenden Tage verspürte ich, dass mein Körper das Verlangen hatte, es erneut zu konsumieren. Sobald ich ein Glas Alkohol in der Hand hielt oder eine Zigarette rauchte, war diese Lust da. Ich spürte zum ersten Mal etwas Beängstigendes: Sucht und Angst. Ich dachte mir immer, wie können so viele Leute den Drogen verfallen? Ich konsumiere am Wochenende und am Montag ist Schluss. Totale Kontrolle. Nie verspürte ich ein vergleichbares Verlangen. Während drei Wochen kämpfte ich gegen das Verlangen an, was die Hölle war, und gab schliesslich nach. Ich nahm das Ketamin erneut und es war die absolute Hölle. Ich konsumierte zu viel, hatte schlimmste Halluzinationen, Paralyse und kämpfte gegen die Auswirkungen an. Was ich in dieser Nacht durchlebte, ist schwer in Worten zu fassen. Zudem weiss ich auch nicht genau, was in meinen Gedanken passierte und was tatsächlich der Realität entsprach. Dies war der Tiefpunkt, den ich wahrscheinlich erreichen musste, um den innerlichen Kampf abzuschließen.

Langsam begriff ich, dass Verdrängung kein Weg sein kann. Deshalb begann ich, mit meinem Partner darüber zu sprechen und involvierte einige Freunde. Je länger, desto mehr realisierte ich, dass alles, was in den vergangenen Monaten in meinem Kopf vorging, eigentlich realitätsfern war. Ebenfalls wurde mir klar, dass ich die Phase, die ich zurzeit durchlaufe, nicht definieren oder verurteilen muss, wieso auch? Es ist neu und ungewohnt. Hätte ich die letzten Monate auf meine Gefühle vertraut, hätte ich gemerkt, dass ich glücklich, erfüllt und verliebt bin.

Heute bin ich nun fast drei Jahre mit meinem Partner zusammen und glücklicher denn je. Seine Freunde wurden meine und meine wurden seine. Unsere Familien kommen hervorragend miteinander aus und alles scheint in eine gute Richtung zu verlaufen. Mein innerlicher Kampf ist nicht mehr vorhanden, es ist mir aber nach wie vor nicht klar, ob ich nun homosexuell, bisexuell oder hetero bin. Aber was spielt das eigentlich für eine Rolle? Muss man dies definieren können? Durch unsere Gesellschaft wird ein Bild vermittelt was richtig und falsch ist. Wie meine Geschichte zeigt, macht dieses Bild einem das Leben schwer, obwohl ich einfach nur mein Glück hätte akzeptieren sollen.