Kälte und Katharsis

Mein letztes Semester habe ich in Budapest, in einer Stadt die ich nicht kannte, nie zuvor vorher besucht hatte und deren Sprache mir völlig fremd war, verbracht. Für mich war es das erste Mal in meinem Leben, dass ich für längere Zeit völlig alleine an einen anderen Ort zog.
In meiner Zeit dort habe ich viel Zeit in Parks und Kaffeehäusern verbracht und geschrieben, um die vielen äusserlichen und innerlichen Eindrücke zu verarbeiten.
Für dieses Digezz Projekt habe ich meine verschiedene Gedichte und einen Text ausgesucht und in einem Büchlein gestaltet. Das «Bookie» soll nicht nur zum lesen sein, sondern auch visuell durch die inneren Prozesse dieser Zeit führen.
Arbeitsprozess
Angefangen hat die Arbeit damit, dass ich die Gedichte überarbeitet habe – viele Male. Ich habe mich das erste Mal in Form von Gedichten ausgedrückt und es ist eine völlig neue Welt. Ich habe viel gestrichen, umgestellt, wieder eingefügt und dann wieder gestrichen. Wie es halt so ist.
Da meine analogen Aufnahmen aus Budapest verloren gegangen sind, durfte ich die einer guten Freundin und die meiner Schwester für das Buch benutzen. Sie sollen die Gedichte unterstreichen und das Gesamtwerk abrunden. Sie fungieren als Transportmittel meiner Worte. Danke an die beiden.
Im «Bookie» finden sich auch handgeschriebene und gezeichnete Teile. Alle Layout-Entscheidungen, von der Platzierung der Bilder und Gedichte, wurden sehr bewusst getroffen. Ebenso ist das Projekt zugehörig zu meiner Kurzgeschichte «Los Archivos de Pili Pequeña» und kann sozusagen als Fortsetzung angesehen werden.
Gute Reise!
Die Schwierigkeit bei diesem Projekt bestand tatsächlich irgendwann darin, es sein zu lassen. Es fiel mir dieses Mal besonders schwer, nicht nur im Hinblick auf die Texte selbst, sondern auch bei den zahlreichen Layout- und Formatentscheidungen. Immer wieder habe ich gezögert, Texte als „fertig“ zu betrachten, weil sie mir nie ganz abgeschlossen erschienen. Jedes erneute Lesen brachte neue Gedanken, neue Zweifel, aber auch neue Möglichkeiten mit sich. Das Loslassen fiel schwer – vielleicht, weil in jedem Gedicht so viel Persönliches steckt, vielleicht auch, weil ich nie ganz sicher war, ob ich schon alles gesagt hatte, was gesagt werden musste.
Auch der gestalterische Prozess war herausfordernder, als ich anfangs vermutet hätte. Ich hatte ein recht klares Bild im Kopf, doch zwischen Vorstellung und Umsetzung lagen viele Entscheidungen: Typografie, Weißraum, Reihenfolge der Texte, sogar das Papier. Es war erstaunlich, wie sehr sich die Wirkung eines Gedichts allein durch seine Platzierung oder das Layout verändern konnte. Jeder kleine Eingriff – eine neue Zeile, ein verschobener Absatz, ein geänderter Abstand – hatte Auswirkungen, über die ich oft länger nachdenken musste als über das Schreiben selbst.
Was mich dabei begleitet hat, war eine Art innerer Dialog: mit mir, mit den Texten, mit meinen Erwartungen und Zweifeln. Ich habe viel gelernt – über Sprache, über Rhythmus, über Reduktion und über das, was zwischen den Zeilen passiert. Und auch über Geduld: mit dem Text, aber vor allem mit mir selbst.
Ein weiterer Aspekt, den ich nicht unterschätzen will, war das Infragestellen der eigenen Stimme. Gerade bei einem so persönlichen Projekt wie einem Gedichtband ist es nicht leicht, sich selbst immer wieder zu begegnen – mit Ehrlichkeit, aber auch mit Wohlwollen. Ich habe gelernt, dass nicht jeder Text laut sein muss, um etwas zu sagen, und dass Stille manchmal genauso kraftvoll sein kann wie Worte.
Rückblickend bin ich dankbar für die Langsamkeit, die sich stellenweise fast wie Stillstand anfühlte. Denn in dieser Langsamkeit konnte Tiefe entstehen – in den Texten, aber auch in mir selbst. Und auch wenn es Überwindung kostete, das Projekt irgendwann für „beendet“ zu erklären, weiß ich, dass es genau dieser Moment des Loslassens war, der es überhaupt erst möglich machte, das Ganze in die Welt zu geben