Eine Reise durch die Nacht in Chur

Was passiert, wenn man sich mitten in der Nacht auf den Weg macht, um eine Stadt neu zu entdecken?
Coira da notg ist eine filmische Reise durch menschenleere Gassen, stille Bahnhöfe und ungewohnte Perspektiven. Keine Story im klassischen Sinn – sondern ein surrealer Blick auf vertraute Orte, die in der Dunkelheit plötzlich fremd wirken. Eine Reise, die wir gemacht haben und auf die wir euch mitnehmen wollen.
Denn manchmal wirkt die Welt am echtesten, wenn sie ein bisschen unwirklich wird.
Die Idee
Als Gruppe war uns klar: Wir wollen ein Video machen. Etwas Künstlerisches. Etwas, das man vielleicht nicht auf den ersten Blick versteht. Als Inspiration haben wir alte Digezz-Beiträge angeschaut und sind auf das Video Liminality von Cyrill Boss und Mick Vuillemier gestossen. Das hat uns sofort gefallen. Man sieht darin keine Menschen, nur leere Orte, und es entsteht eine spezielle Stimmung.
Eine surreale Stimmung wollten wir auch in unserem Video erzeugen. Wir dachten an die Nacht, wenn man allein unterwegs ist, alles still ist, alles dunkel, keine Autos, alle Läden geschlossen. Einfach dieses Gefühl, das man kennt, wenn die Stadt schläft. Unsere erste Idee war, Zürich bei Nacht zu zeigen. Bekannte Orte, die tagsüber voller Menschen sind, aber in der Nacht komplett leer.
Das ursprüngliche Konzept
Wir stellten uns ein Video mit düsterer, geheimnisvoller Atmosphäre vor. Surreal, ruhig, mit fliessender Kamerabewegung – dank Gimbal. Die Musik sollte das Bild nicht nur begleiten, sondern führen und verstärken. Farblich stellten wir uns ein dunkles, filmisches Grading vor. Und bei den Übergängen wollten wir kreativ sein – etwa durch Fenster, Lichtquellen oder Drehungen.
Erste Drehnacht in Zürich
Für die Umsetzung war Zürich allerdings eine echte Herausforderung. Wir wollten an Orten drehen wie dem Hauptbahnhof, dem Sechseläutenplatz oder der Bahnhofstrasse. Um auch in einem Restaurant nach Feierabend zu filmen, haben wir rund 20 Lokale angeschrieben und telefoniert – leider ohne Erfolg. Beim Hauptbahnhof hatten wir mehr Glück: Nach langem Hin und Her erhielten wir die Drehgenehmigung für die Nacht.



Neustart in Chur
Nach dem Misserfolg in Zürich beschlossen wir, das Projekt nach Chur zu verlegen. Praktischer, näher – und es bedeutete, nochmals von vorne zu beginnen.
Wir trafen uns die Woche drauf um 00.45 Uhr in Chur. Dieses Mal waren wir besser vorbereitet: drei Kameras, jede mit eigenem Gimbal. Keine Experimente mehr. Und das hat sich gelohnt. Beim Schnitt merkten wir nämlich, dass eine Kamera immer wieder unscharf filmte – das sah man auf dem kleinen Bildschirm nicht.
In dieser Nacht konzentrierten wir uns auf die Altstadt und den Bahnhof. Doch dann kam der Regen. Stimmungskiller – zumindest für uns. Für das Bild hingegen war es ideal. Wir warteten im Trockenen, bis es aufhörte, und zogen dann wieder los. Es war eine lange Nacht, und gegen halb sechs morgens waren wir komplett erledigt.

Noch eine Nacht – neue Orte
Beim Schnitt merkten wir: Nur Bahnhof und Altstadt waren zu wenig. Es brauchte mehr Vielfalt. Also entschieden wir uns, noch eine Nacht zu investieren. Dieses Mal war es einfacher, Drehorte zu bekommen – wir hatten ja schon ein paar Bilder zum Vorzeigen. So konnten wir im Einkaufszentrum City West und in einem fahrenden Zug der Rhätischen Bahn filmen.
City West schliesst allerdings bereits um 20 Uhr, also war es zu dieser Zeit noch nicht komplett dunkel. Aber das Licht wurde abgestellt, und wir hielten uns von den Fenstern fern – das klappte gut. Im Zug war es dagegen eine Herausforderung. Alles wackelte und schüttelte, doch genau das wollten wir eigentlich: Man sollte merken, dass der Zug fährt.
Schnitt, Musik und Off-Text
Der Schnitt war aufwendig – aber das kannten wir schon. Wir starteten mit der Musikproduktion in FL-Studios. Zuerst war es schwierig, weil wir das Programm noch nicht kannten. Aber wir fanden uns rein. Die Musik sollte atmosphärisch sein, unsere Stimmung unterstützen.
Während des Schnitts kam uns dann die Idee, einen rätoromanischen Reim als Off-Text einzusetzen. Eine Sprache, die viele nicht verstehen – das erzeugt eine zusätzliche Ebene. Für die, die sie verstehen, steckt darin eine versteckte Bedeutung. Für alle anderen wirkt es einfach besonders und geheimnisvoll.
(vha)
Was wir gelernt haben
Das Projekt hat uns viel gelehrt – organisatorisch, technisch und kreativ.
Technisch haben wir gelernt, wie wichtig verlässliches Equipment ist. Auch gute Planung und flexible Zeitfenster sind entscheidend. Ein kaputter Gimbal oder schlechtes Licht können alles zunichtemachen. Organisatorisch war Zürich eine echte Prüfung. Doch gerade weil es nicht geklappt hat, lernten wir, wie wichtig es ist, Pläne umzustellen und sich anzupassen.
Kreative Entwicklung
Kreativ haben wir gemerkt: Eine gute Idee reicht nicht. Erst durch Feedback merkten wir, dass unserem Projekt Tiefe fehlte. Die Frage nach der Absicht begleitete uns über das ganze Projekt hinweg. Besonders in der Postproduktion lernten wir, auf unsere Intuition zu vertrauen. Das galt sowohl für den Schnitt als auch für die Musik. Auch wenn manches schwierig war, konnten wir so unseren eigenen Stil entwickeln.
Zusammenarbeit und Rückschläge
Die Teamarbeit funktionierte super. Wir hatten alle dasselbe Ziel vor Augen: ein gutes Video. Wir scheuten uns nicht, Szenen wegzuwerfen oder neu zu drehen. Rückschläge haben uns nicht zurückgeworfen – im Gegenteil, sie haben uns weitergebracht.
Unser Fazit
Manche Szenen sind stark, andere hätten vielleicht noch etwas spezifischer sein dürfen. Auch die Story bleibt eher offen – das war so gewollt, bringt aber auch Herausforderungen mit sich. Die Musik hat uns mehr abverlangt als gedacht, gerade weil wir das Tool noch nicht kannten.
Aber am Ende zählt: Wir haben ein atmosphärisches, visuell stimmiges Video produziert. Und wir haben dabei richtig viel gelernt – über Technik, Organisation, Teamwork und kreative Prozesse. Für uns war Coira da notg viel mehr als ein Videodreh. Es war ein echtes Lernprojekt – intensiv, fordernd, aber auch richtig erfüllend.