Just eating

Essen ist toll. Vor allem wenn man es in Ruhe geniessen kann. Doch das scheint wohl nicht immer der Fall zu sein.

Hierbei geht es nicht um Eating Disorders, sondern um Sexualisierung beim Essen. Aus diesem Thema heraus entstand ein Fotoprojekt: Eine fiktive Fotokampagne gegen Sexualisierung.

Es ist verrückt, ich muss darüber nachdenken, was ich esse und wo ich es esse, aus Angst, dass irgendein Typ mich anschaut, anruft, anspricht oder vielleicht noch schlimmer.

Aus einem Kommentar unter dem Video «Girl can’t enjoy a banana?» von Kat Lazo

Beginnen wir von vorne. Wir alle kennen die Bilder: Stark geschminkte, knapp gekleidete Frauen in Werbespots und auf Plakaten. Ist das Thema schon längstens überholt? Eben nicht. Erst vor einem Jahr machte diese Werbekampagne für vegane Ergänzungsmittel Schlagzeilen. Offensive, sexistische Werbungen wie diese werden von der Gesellschaft seit einigen Jahren nicht mehr einfach so hingenommen. Das Bild der Frau hat sich in der Werbung stark verändert. Zum Glück und endlich! Was sich aber tief verwurzelt hat, sind die Bilder im Kopf. Und diese Bilder führen manchmal zu unangenehmen Bemerkungen im alltäglichen Leben, welche eine Flut an negativen Gefühlen auslösen können. Nicht nur bei Frauen.

Vor bereits zehn Jahren hat die Youtuberin Kat Lazo auf ihrem Kanal ItsKatLazo mit dem Video «Girl can’t enjoy a banana?», die Sexualisierung von Frauen beim Essen von Lebensmitteln, welche mit einem Penis Ähnlichkeiten haben, thematisiert. Unter den 248 Kommentaren wird klar: Nicht nur Lazo kämpft mit diesem Problem. Ein User offenbart: «Ich stimme mit diesem Video vollkommen überein. Deshalb vermeide ich es immer, diese Dinge in der Öffentlichkeit zu essen, besonders Eis am Stiel. Ich breche meine Banane immer in Stücke, um die Blicke zu vermeiden.» und ein weiterer User bemerkte: «OMG, jetzt weiß ich endlich, warum Mädchen das tun! Ich dachte immer, dass sie es nur aus Spaß machen und habe nie verstanden, warum sie das tun, weil man dabei klebrige Hände bekommt. Jetzt weiß ich es!». «Es ist verrückt, ich muss darüber nachdenken, was ich esse und wo ich es esse, aus Angst, dass irgendein Typ mich anschaut, anruft, anspricht oder vielleicht noch schlimmer», steht in einem weiteren Kommentar. Diese und weitere Ausschnitte aus der Kommentarspalte des Videos sind hier anhand Screenshots aufgeführt.

Heute fast zehn Jahre später zeigen eigene sowie Fremd-Erfahrungen, dass dieses Problem immer noch besteht.

Entstanden sind sechs Fotos, welche als Awareness-Kampagne agieren könnten. Denn das Thema wurde gemäss Recherche in den Medien und der Gesellschaft nie richtig aufgegriffen und dadurch auch nicht diskutiert. Es geht nicht darum, nun allen Männern vorzuwerfen, dass sie Frauen beim Essen belästigen. Ein grosses Ziel der Kampagne wäre es, die Gesellschaft auf dieses Thema zu sensibilisieren. Stichwort Zivilcourage. 

(ash)

Bim Znacht
Dort fing unser Projekt an. Das von mir und zwei weiteren Freundinnen, Ivana eine Design Managerin und Meret eine Industrial Designerin. Bereits dort griffen wir das Thema Sexualisierung auf – nicht zuletzt aufgrund des 50 Jahre Jubiläums des Frauenstimmrechts, welches jetzt öfters feministische Diskussionen an den Tisch bringt. Darum wollten wir uns der Herausforderung stellen, ein gesellschaftliche Thema anhand eines Fotoprojekts, welches man als Kampagne aufziehen könnte, aufzugreifen. So entstand am selben Abend eine Whatsapp-Gruppe, welche den Namen „Maybe not such a good idea“ trug. Tatsächlich waren wir uns nicht ganz sicher, ob es wirklich eine gute Idee war, unsere enge Freundschaft und die Arbeit zu verbinden. Die Neugier, was die Synergien unseres Fachwissens aus den verschiedenen Designbereichen ergeben, siegte schliesslich.

Brainstorming
Knapp zwei Wochen später trafen wir uns aufs Brainstormen wieder. Lange Diskussionen waren aufgrund des gesellschaftlichen Themas vorprogrammiert. Aber auch wichtig. Zwischen vielen Ideen, welche wir auf Post-Its in Miro schrieben, entschieden wir uns für das Thema Sexualisierung von Objekten, speziell im Bezug auf Lebensmitteln (während des Verzehrs). Recherche und Erfahrungsberichte aus dem Umfeld, wie auch die eigenen zeigten, dass es das Problem tatsächlich (noch) gibt.

Erste Konzeption
Unser Konzept wandelte sich mit der Zeit. Da die erste feste Idee ein intensiver Teil unserer Auseinandersetzung mit dem Thema beinhaltete, werde ich sie kurz erläutern.
Es sollte eine Fotoserie werden, welche mit Gegensätzen spielt. Die Serie besteht aus drei Fotopaaren mit je zwei Fotografien. Auf dem einen Foto isst eine Person ganz natürlich ein Lebensmittel, wie z.B eine Banane oder ein Eis. Auf dem anderen Bild wollten wir die Deutung auf den Kopf stellen. Beispiel: Als Gegensatz zum Foto mit der Banane, kommt über eine Portion Pommes, anstelle von Ketchup Gleitgel. Die 2 Fotos des jeweiligen Fotopaars sind von der Farbstimmung authentisch (gelb bei Banane und Pommes).

Die zwei weiteren Ideen waren:
1 | Sexualisiertes Objekt: Eine Person isst ein längliches Wassereis (z.b Vinetu, Twister, Rakete)
Gegensatz: Eine Person beisst in ein Sandwich in dem zwischen den Brotscheiben, anstelle eines Fleisch/Vegipat ein flacher Dildo liegt.
2 | Sexualisiertes Objekt: Eine Person trinkt einen Bubble Tea mit dem Strohhalm (ist zwar kein Lebensmittel, wird jedoch sexualisiert, da man am Strohhalm saugen muss).
Gegensatz: Eine Person mischt mit Hilfe von Salatbesteck in der Salatschüssel Kondome, anstelle des Salates.

Wir fanden das Spiel der Gegensätze und der Provokation witzig, waren aber nach einer langen Diskussion, wie die Bilder verstanden werden könnten, der Meinung, dass das eigentliche Thema verfehlt wird. Bei den Gegensatzbildern würde es viel mehr um die Enttabuisierung von Sex und Sexspielzeug gehen.>

Umdenken und reduzieren
Wir reduzierten das Ganze und fokussierten uns nur noch auf die Lebensmittel, welche sexualisiert werden. Beide Geschlechter sollten abgelichtet werden, um die Gleichstellung zu ermöglichen und nicht voreilige Schlüsse zu ziehen. Wir wollten beide Geschlechter beim Essen von sexualisierten Lebensmitteln fotografieren und machten gleich ein Experiment daraus. Wirken die Fotos aufgrund des Geschlechts.

Farbgestaltung
Da wir die Fotos optisch einheitlich gestalten wollten, wählten wir die Lebensmittel so aus, dass sie alle zu der Farbe gelb passen. Das Gelb bewirkt Aufmerksamkeit, ist jedoch nicht so aggressiv wie z.B Rot.

Komposition und Slogan
Die Aufnahmen gestalteten wir sehr schlicht, um nicht mit anderen Objekten von der Handlung und schliesslich von der Aussage abzulenken. Im Hintergrund soll ein Schild an der Wand hängen oder lehnen, auf dem „just eating“ steht und sollte als ein Statement oder sogar als Protest gegen die Sexualisierung fungieren. „Just eating“ steht für: „Ich esse ja nur…“. Egal ob Mann oder Frau. Dieser Schriftzug sollte zudem als Hashtag weiter genutzt werden können, wie z.B bei der #metoo-Bewegung.

Shooting
Kamera: Sony Alpha 7 III
Objektiv: Tamron 28 – 75 mm f/2.8
Das Shooting fand in einem kleinen Studio statt, welches dem Vater von Ivana gehört. Leider wurde der erwartet „Infinityfloor“ vor unserer Ankunft abmontiert, wodurch das Studio schlicht ein Raum mit Holzboden und weissen Wänden war. Da die Lichter dennoch vorzufinden waren, entschieden wir uns das Shooting trotzdem durchzuziehen. Wir hatten zwar ohne dem Papierhintergrund weniger Spielraum, da wir den Holzboden auf den Fotos vermeiden wollten, aber wir improvisierten und versuchten uns umso mehr auf das Licht zu konzentrieren.

Licht
Wir verwendeten zwei Lichter mit Softboxen auf Rollstativen. Eines von vorne, leicht seitlich (ca. -110 Grad Winkel zum Objekt), damit das Gesicht nicht komplett gleichmässig ausgeleuchtet ist und nicht flach wirkt. Das andere als Spitzlicht von der gegenüberliegen Seite – von leicht hinten, ebenfalls seitlich (ca. -10 Grad), welche die Person von der Wand abhebt.

Posing
Die Models sollten die Lebensmittel so essen, wie sie es sonst auch tun würden. Denn wir wollten eine sexualisierte Darstellung nicht provozieren. Weil das Essen der Lebensmitteln nicht gestellt waren, schossen wir wie wild Serienbilder, um möglichst viele Momente einzufangen. Da wir an eine Kampagne dachten, bei der sich die Betrachter:innen angesprochen fühlen sollten, forderten wir sie später auf, in die Kamera zu blicken.

6 aus 1203
Gleich nach dem Shooting begann die Fleissarbeit. Die Serienaufnahmen, führten dazu, dass schlussendlich 1203 Fotos auf der SD Karte landeten. Aus diesen durften wir 3 Bildpaare, sprich 6 Fotos aussuchen. Bei so vielen Fotos empfehle ich, eine Vorauswahl mithilfe der Sternchenbewertung im Lightroom in mehreren Runden durchzuführen, bis man seine Favoriten gefunden hat.

Beim Shooting haben wir zwar darauf geschaut, dass der Mann und die Frau beide ähnliche Posen einnehmen, jedoch waren wir nicht ganz so konsequent. Aus diesem Grund achteten wir darauf, dass die Posen der Geschlechter möglichst ausgeglichen sind. Sprich, die Frau, wie der Mann, schauen gleich oft in die Kamera oder beissen ab.

Wir veränderten während des Shootings das Lichtsetting zwischen den Bildern leicht, da andere Posen eingenommen wurden. Deshalb mussten wir bei der Postproduktion die Lichtverhältnisse der Bilder aneinander anpassen. Kleine Reduschearbeiten konnten wir im Lightroom mit der Bereichsreparatur vornehmen.

Software:
Farb- und Lichtanpassung in Adobe Lightroom
Retusche mit Clone Stamp in Adobe Photoshop

Was wir beim nächsten Mal anders machen würden:
– Gerade weil es minimalistisch Fotos sind, fielen uns im Nachhinein Folgendes auf:
Da wir als Experiment Frau und Mann gegenüberstellen wollten, hätten wir beim Posing viel konsequenter sein müssen. Beide hätten die exakt gleiche Pose einnehmen und genau gleich blicken müssen.
– Die Frau hat ein Top mit Spagettiträger an, der Mann ein weisses Shirt, welches über die Schultern geht. Dieser Unterschied könnte die Wirkung beeinflussen und darum auch kritisiert werden. Dieser Unterschied war nicht inszeniert, sondern wurde uns erst nach dem Shooting bewusst.

Es ist noch lange nicht getan…
Geplant war nur ein Fotoprojekt. Im Nachhinein stellten wir fest, dass das Projekt für uns noch weitergehen muss. Einerseits, weil wir einige Dinge hätten besser beachten müssen und vielleicht noch anders machen werden. Andererseits ist es noch viel wichtiger, zuerst die Reaktionen von anderen Leuten zu unseren Fotos einzufangen. Deswegen haben wir bereits eine Formatidee zu planen begonnen, welche zusätzlich eine Diskussion anregen könnte. Uns interessiert vor allem, wie eine solche Kampagne interpretiert wird. Die einen werden sich verstanden fühlen, wiederum andere werden die Kampagne vielleicht gar nicht erst verstehen. Nochmals andere werden sie womöglich kritisieren. Noch wissen wir es nicht. Wir sind gespannt, es herauszufinden!