haze [hɛ́jz] – Musikvideo

haze [hɛ́jz] ist zum Reflektieren. haze [hɛ́jz] ist ein Experiment, ein Arthouse Musikvideo und quasi rückwärts produziert …

… Deswegen gibt es allem voran erst einmal das Endergebnis.

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So, und jetzt auf Anfang. Wir hatten Lust auf etwas, das wir noch nie gemacht haben. Ein Musikvideo. Mit selbst geschriebenem Text? Mit selbst komponierter Musik? Ok. Ideen? Viele. Vorgaben? Keine.

Wir liessen unsere Synapsenverbindungen leichtfüssig zischen und die Bilder waren im Nu im Kopf. Und wer ist darauf zu sehen? Das war nie eine Frage. Klarer Fall: Michelle (das ist die mit dem Glitzer im Gesicht und der wunderbaren Stimme im Hintergrund). Unsere Idee war erstaunlicherweise wie für sie geschaffen und sie für unsere Idee. Dazu macht sie bei sowas auch noch mit. Zwischenbericht: Wir hatten weder eine Idee für die Musik noch ein Genre, dafür waren das Setdesign und einzelne Einstellungen schon praktisch in Stein gemeisselt. 

Wir haben kurzen Prozess gemacht und uns gerade deswegen auf Arthouse eingelassen. Und was kann das? Eigentlich fast alles. Kurzer Check, ob die Kombination aus Arthouse und unseren Ideen auf irgendeine Weise realistisch ist und nicht nur ein Gemisch aus kondensierten Hirnzellen und Wasser:

  • Wenig Budget, ca. CHF 30 pro Nase. Check.
  • Keine Spezialeffekte. Wenn zwei Liter Vollmilch in der Badewanne nicht dazuzählen, dann Check.
  • Keine bekannten Schauspieler. Nein. Sorry, Michelle. Check.
  • Läuft in keinem grossen Kino. Haha. Check.

Eine Regel hat Arthouse aber doch: Es braucht ein Problem. Wann denken wir über unsere First-World-Problems nach? Schon mal geduscht? Voilà.

Resigniert im Alltagstrott versus daraus ausbrechen. Jetzt kommt der Teil mit dem Reflektieren. Die Interpretation funktioniert ähnlich wie das Horoskop von 20 Minuten. Es trifft auf jede*n zu. Viel Erklärung braucht es dazu eigentlich nicht (siehe Songtext), aber vielleicht ein bisschen Google oder so. 

Wenn das alles bis jetzt scheinbar wenig Sinn gemacht hat, dann passt das nur zu gut zur Reihenfolge der Produktionsschritte (siehe Reflexion). Funktioniert hat unser Experiment aber wunderbar! Wir gestatten offiziell einen Blick hinter die stets fleissig geputzten Kulissen.

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(mou)

Und wie produziert man jetzt ein Arthouse Musikvideo quasi rückwärts? Ein Erfolgsrezept gibt es nicht. Aber wir haben einfach mal gemacht. Und zwar so:

  1. Brainstorming
  2. Setdesign, Gestaltungskonzept, Kameraeinstellungen, Workflow
  3. Organisation: Sängerin/Darstellerin, Requisiten, Equipment, Locations
  4. Problem suchen, finden und daraus eine Geschichte basteln
  5. Text Version 1
  6. Moodboard und Szenenliste
  7. Dreh
  8. Text Version 2 und Musik komponieren
  9. Storyboard erstellen mit der “Fötzeli-Strategie” als Vorarbeit für den Rohschnitt
  10. Rohschnitt
  11. Soundmastering Musik und Feinschnitt
  12. Color Correction und Color Grading

Ja, ernsthaft. Wir haben zuerst das Video gedreht, dann den Song geschrieben und zum Schluss noch ein Storyboard erstellt. Zugegeben, das Ganze hätte total in die Hose gehen können und wir bewegten uns auf einer frivolen Grenze. Aber es war ein Experiment und wir waren uns diesem Risiko bewusst. Gerade deshalb haben wir viel Zeit und Mühe in eine penibel genaue Organisation und ein konsequentes Konzept investiert. Dies in Kombination mit spontaner Flexibilität bis zum Äussersten, Dream-Team-Zusammenarbeit, Plausch und ständigem Mitdenken bei jedem einzelnen Produktionsschritt. Wir würden fast alles wieder so machen. 

Und jetzt zu dem, was wir uns hinter die Ohren schreiben:

Organisation
An der Organisation haben wir nichts auszusetzen. Es hat alles einwandfrei funktioniert. Wichtig: Sie ist sehr wichtig! Sei es kommunikativ, planerisch oder bei der Umsetzung. 

Workflow
Der Workflow hätte zu einer Katastrophe mutieren können. Es war teilweise Glück, dass unser Vorhaben flüssig und schlüssig funktioniert hat. Hervorzuheben ist vor allem die Arbeit in Premiere mit einem Team-Projekt, was wertvoll war und wir uns für zukünftige Projekte merken.

Preproduction

Gestaltungskonzept, Locations und Moodboard
Das Gestaltungskonzept haben wir so ausgearbeitet, dass auf Farben verzichtet wird. Nur Schwarz, Weiss und Silber als Akzentfarben erlaubten wir uns. Besonderen Fokus haben wir darauf gelegt, dass dies vom kleinsten Detail bis ins grosse Ganze umgesetzt wird. Dementsprechend war das Locationscouting ein wichtiger Bestandteil der Vorbereitung. Dies war zudem entscheidend für die Möglichkeiten während dem Dreh. Die Blackbox der HKB bot uns eine technische Infrastruktur mit Licht und Strom sowie grosszügige Flächen und geeigneten Hintergründen. Als zweite Location diente ein Elternbad.
Damit alle Beteiligten von der selben Idee sprechen, respektive dasselbe Bild vor Augen haben, haben wir ein Moodboard erstellt. Dies bestand aus Bildern, die während dem Brainstorming als Inspiration gedient hatten. Die Szenen und teilweise einzelne Einstellungen konnte so eindeutig visualisiert werden. Verbesserungen wären, im Moodboard bereits mehr Beispiele für B-Roll ohne Protagonist*in zu inkludieren.

Equipment
Wir haben uns dazu entschieden, simultan mit zwei Sony A7III zu filmen. Entscheidungsgrundlage für diese Kamera war, dass wir mit 100 fps filmen konnten und die Auflösung immer noch anständig war. Ein weiterer Grund für die Kamerawahl war, dass wir hinsichtlich der Postproduction Vorteile darin sahen, zwei gleiche Kameras zu verwenden. Das restliche Equipment haben wir frühzeitig organisiert. Wir hatten eine Materialschlacht sondergleichen, wobei beim Dreh wider erwarten fast alles zum Einsatz kam. Viele Requisiten dienten als Reserve oder Ausweichmöglichkeiten. Auch wenn diese Menge an Material zusätzliche Arbeit bedeutet, bei diesem Projekt hat sich dies wirklich gelohnt. Alleine schon die Putzutensilien waren es wert, da man die Unterschiede im Bild deutlich erkennen konnte.
Wenn es interessiert, hier geht’s zur Materialliste.

Production on Set

Während zwei ganzen Tagen haben wir alles gegeben. Niemand hat sich vor unangenehm riechenden Milchwasser, Glitzerschmierereien, ständigem Outfit-, Makeup- und Frisurenwechsel, Kaffeeservice, Putzeinlagen, einer Dusche oder akrobatisch eindrücklichen Posen für das perfekte Bild gedrückt.

Garderobe, Foodcorner und Co.
Ganz professionell haben wir das Set räumlich durchorganisiert. So haben wir neben der Equipement-Ecke mit Ladestationen und MacBook-Nische auch einen Bereich für die Ankleide, Maske und die Requisiten eingerichtet. Der Foodcorner mit Getränken und Snacks hatte selbstverständlich auch seinen Platz.

Setdesign und Licht
Bevor REC gedrückt wurde, wurde das Set und Michelle hergerichtet. Respektive hat Michelle sich selbst hübsch gemacht, da sie das beste Händchen dafür hatte. “Schnell, schnell” hatte dabei nichts verloren. Mit Putzlappen und kritischen Augen wurde übertrieben genau gearbeitet. Das hat sich im Endeffekt jedoch gelohnt. Dazu gehörte natürlich auch der Faktor Licht. In der Blackbox haben wir die installierten Lichter verwendet. Die Bedienung davon haben wir leider bis heute noch nicht im Griff. Wir haben einfach solange Knöpfe gedrückt bis das Licht so war, wie wir es uns vorstellen – ohne zu wissen was wir da genau drücken. Dies auf jeden Fall ein Learning, dass wir uns vor dem eigentlichen Drehtag mit der Bedienung des Lichtpultes auseinandersetzen.
Die beiden LED-Lichtstäbe mit drei Farbtemperaturen (neutrales Weiss, warmes Weiss, kühles Weiss) zählen ab diesem Dreh zum Standardinventar. Damit konnten wir die Bildstimmung fein justieren und lenken. Auch die Baulampe kam oft zum Einsatz. Kleines Manko: Durch diese semi-professionelle Lichtausrüstung konnten wir die Farbtemperatur der Lichter nicht exakt aufeinander abstimmen. Glücklicherweise hatten wir keine Probleme mit Mischlicht, was aber auch anders hätte sein können…

Dreh
Eine der beiden Sony-Kameras wurde grundsätzlich nur mit einem Stativ verwendet (für weitere Aufnahmen), die andere wurde handheld geführt (andere Perspektive, Nahaufnahmen). Diese Strategie hat hervorragend funktioniert, da die handheld-Kamera flexibel und schnell reagieren konnte, während die Kamera auf dem Stativ ruhige Bilder versprach. Wir haben ausschliesslich die bereits vorhandenen Sony Objektive (24-70mm f/2.8) verwendet. Für ein nächstes Projekt organisieren wir noch mindestens ein weiteres Objektiv, z.B. ein 100mm-Objektiv für noch nähere Aufnahmen.
Eine Herausforderung während dem Filmen war das gegenseitige „Ins-Bild-rennen“. Da wir den Ton für das Musikvideo nicht benötigten, konnten wir uns während dem Filmen gut mündlich verständigen. Immer mindestens eine Kamera verfügte über ein Richtmikrofon. Dies zur Unterstützung für die Bild-Ton-Synchronisierung und für O-Töne. Wichtig war auch regelmässiges Abspeichern der Daten –  zur Sicherheit jeweils auf verschiedenen Datenträgern.

Dreh Refrain
Da der Songtext während der Produktion neu geschrieben wurde, wurden die Bildaufnahmen nach den beiden grossen Drehtagen einzeln aufgenommen.

Production Off Set

Jetzt kommt eben dieser verkehrte Teil. Die Musik wird nach dem Video produziert, gute Idee?!

Songtext
Richtig gelesen, der Songtext wurde zweimal geschrieben. Die Version 1 wurde vor dem Dreh geschrieben. Die Geschichte und die Stimmung wurden damit festgelegt. Die Version 2 folgte nach dem Dreh. Weshalb dieser doppelte Aufwand? Der Qualität, Stimmung, Botschaft und Kongruenz wegen. Grundlage für die Version 2 waren die bereits vorhandenen Filmaufnahmen, die Version 1 des Songtextes und die auf mit Klavier komponierte Begleitung. Hier zu erwähnen ist, dass die Version 2 des Songtextes zusammen mit der Musik geschrieben wurde – Stück für Stück. Den definitiven Songtext kenne wir ja bereits. 

Musik
Einige Jahre nicht mehr in die Tasten gehauen – das war an eingerosteten Fingern zu merken. Der Kopf war noch musikalisch, die Umsetzung war ein anderes Thema. Für die Aufnahme im Tonstudio wurde erst eine vereinfachte Klavierbegleitung komponiert und aufgenommen, die jedoch bereits im richtigen Takt war. Nach den Gesangsaufnahmen wurde die Klavierbegleitung ausgearbeitet und neu aufgenommen. Eingespielt wurde die Musik mit einem Keyboard, produziert und bearbeitet mit Garageband (Tonanschläge auf den Takt korrigieren, zu laute Töne leiser machen). Geplant wäre gewesen, mit Drums und Violinen Akzente und Rhythmus zu setzen. Als Pianistin ist dies jedoch eine Fremdsprache.

Tonstudio
Das Lied (mit vereinfachter Klavierbegleitung und krächzender Morgenstimme der Komponistin) eröffnete die Autofahrt nach Bern ins Tonstudio der HKB. Das fertige Lied haben dann alle das erste Mal gehört und geübt. 🙂
Im Tonstudio haben wir mit ProTools gearbeitet. In einem HKB-MediaLab-Training haben wir mit Küse alles eingerichtet, sodass wir am Aufnahmetag lediglich REC hätten drücken müssen. Das war dann doch schwieriger als gedacht, da wir die Stimme von Michelle nicht hören konnten. Merken: In ProTools muss die Spur erst noch aktiviert werden (Kreislein muss grün werden). Dies war ganz klar auf die fehlende Erfahrung zurückzuführen. Jetzt wissen wir’s.
Eines der zentralsten Learnings ist: Die Sängerstimme braucht Pausen. Zumindest die Stimme von Michelle. Der Unterschied zwischen ihrer strapazierten Stimme und ihrer erholten Stimme ist enorm. So konnte das Lied auch nicht an einem Stück aufgenommen werden, sondern Strophe für Strophe und Refrain für Refrain.

Animationen und Grafiken
Die Animationen und Grafiken haben wir kurz vor Schluss erstellt. Dem definitiven Cover sind 5 Entwürfe vorausgegangen.

Postproduction

Schnitt und Vorbereitung
Als Vorbereitung für den Rohschnitt haben wir eine Sequenz, wir nennen sie Baustelle, mit allen brauchbaren Aufnahmen erstellt (bereits geschnitten, kategorisiert, priorisiert und farblich markiert). Der nächste Schritt war unsere “Fötzeli-Strategie” (siehe Behind the Scenes-Video). So haben wir ein analoges Storyboard mit Notizzetteln erstellt. Über diese Strategie könnte man einen ganzen digezz-Beitrag schreiben, das lassen wir jedoch.
Eine sinnvolle und klar eingehaltene Ordnerstruktur bildet die Basis. Der Schnitt wurde mit einem Premiere Pro Team-Projekt gemacht – eine sensationelle Erfindung.

Sounddesign
Das Sounddesign hielt sich in Grenzen, da es sich, wie bis jetzt vielleicht schon einmal erwähnt, um ein Musikvideo handelt. Es mussten lediglich O-Töne am Anfang und am Schluss eingefügt werden.

Color Correction und Color Grading
Eine Herausforderung war das Angleichen der weissen Töne und der Hautfarbe. Für das Color Grading haben wir einen Sony LUT von DOD Media verwendet.

Fazit

Ein paar Grundsätze, die wir uns merken:

  • Fondue for the win! Obwohl wir das ja eigentlich bereits wussten. Spass beiseite, aber die Verpflegung war essentiell, da die Arbeitstage wirklich lange waren. Dies kam auch der Stimmung auf dem Set zugute, die aussergewöhnlich fantastisch war und das zu jedem Zeitpunkt (Müdigkeits-Downs ausgenommen).
  • Dass wir das Gestaltungskonzept peinlich genau durchgezogen haben empfinden wir als Detail mit Gewicht. Es trägt die Stimmung und Aussage. Auch, dass wir uns Zeit genommen haben für DEN Moneyshot hat sich gelohnt.
  • Das Lied ist nicht perfekt, das wissen wir. Das war aber auch nicht das Ziel. Es könnte sogar sein, dass dies einer Überarbeitung unterzogen wird. Das Ziel ist es, mindestens einen passenden Beat hinzuzufügen.
  • Spontane Flexibilität und Experimentieren ist Gold wert. Auch wenn wir uns an unsere Pläne gehalten haben, haben wir immer Raum für ungeplante Aufnahmen oder Ideen gelassen. So sind nun Spontanaufnahmen Teil des Musikvideos…
  • und darlings wurden gekillt… Ein running gag.