Entschleunigt. Unterwegs in den französischen Alpen.

Der laute und tobende Wind drückt an die dünne Zeltwand. Ich verkrieche mich im Schlafsack, in der Hoffnung dem Lärm zu entweichen, um immerhin etwas Schlaf zu bekommen. Neben meinem Biwakplatz steht eine Hütte, dessen Fenster mit Brettern verriegelt sind. Eine düstere Stimmung legt sich wie eine dicke Decke über den Ort.

Ich fühle mich hier klein, unbedeutend. Wie das schwache Glied eines riesigen Mechanismus. Auf der anderen Seite meines Zeltes liegt einer der letzten grossen Gletscher der Gegend. Majestätisch und doch verletzlich.

Ich befinde mich tief in den französischen Alpen. Kein Empfang, kein Kontakt zur Aussenwelt.

Im Nationalpark des Écrins spüre ich unberührte Natur und Wildnis. Hier hält die Natur die Überhand. Um mich herum wachsen verschiedenste Pflanzen, die ich noch nie gesehen habe. Schroffe Berge ragen bis zu 4000 Meter in den Himmel. Durch die tiefen Täler bahnen sich ungezähmte Flüsse ihren Weg.

Diese Wildnis will ich auf dieser Reise fotografisch dokumentieren. Ich richte meine gesamte Aufmerksamkeit auf die Geometrie der Natur, ihrer Strukturen und Bewegungen. Es sind diese Elemente, die eine Landschaft formen.

Diese Serie ist ein Versuch, Antworten zu erhalten, darüber wie diese Gebirgslandschaften geformt wurden und wie sie sich verändern. Ich achte auf die prägnanten Charakterzüge der Landschaft und probiere die Schnittstellen der aufeinandertreffenden Landschaftstypen zu erkennen.

Diese Berührungspunkte werden im Fliessendem sichtbar. Das Wasser bahnt sich seinen Weg zwischen Schutt und Stein. Wo noch vor kurzem reine Eisflächen lagen, rieseln heute Bäche über den nackten Felsen. Grüne Wiesen überlassen ihren Raum langsam dem rauen Geröll.

Die Landschaft wird in diesem Augenblick neu geformt.

In meinem Rucksack befindet sich alles was ich für die nächsten zwei Wochen brauche: Ein Zelt, Kochutensilien, warme Kleidung und meine Kamera.

Unterwegs bin ich zu Fuss, versuche per Autostopp mitgenommen zu werden oder nehme einen der wenigen Busse, die im Tal fahren. Doch anders als bei bisherigen Reisen habe ich für diese Zeit.

Die eingeschränkte Mobilität bringt mich dazu, länger an einem Ort zu bleiben. Es fühlt sich gut an. Ich nehme die Landschaften und Dörfer intensiv wahr und schenke meiner Umgebung ihre verdiente Aufmerksamkeit.

Ich bin inspiriert von der Ursprünglichkeit der unberührten Landschaft der französischen Alpen. Wie ich so in meinem Zelt liege, im Schlafsack eingepackt, der tosende Wind um mich herum, spüre ich, dass ich als menschliches Individuum klein bin. Es ist eine Welt, in der ich nicht alles kontrollieren kann. Ich bin ausgesetzt und verletzlich.

Diese Nähe zur Natur zu spüren ist ein Privileg.

(mou)

Vorbereitung:

Eine neue Region entdecken, die Landschaft fotografisch zu dokumentieren und nur zu Fuss, mit ÖV oder Mitfahrgelegenheiten zu reisen. Das war der Grundgedanke dieser Reise.

Die Vorbereitung bestand darin, die Ausrüstung aufs Wesentlichste zu minimieren. Alles für zwei Wochen Trekking Reise musste in einen 70l Rucksack passen, um damit Bergpässe zu übersteigen und Ortsunabhängig zu sein.

In der Recherche habe ich die Gegend lange mit Google Earth inspiziert, um mich schlussendlich zu entscheiden, wo es sich lohnt hinzugehen.

Wir sind immer mehrere Tage in einer Region geblieben, haben da Touren mit dem Zelt unternommen und sind dann anschliessend mit den sehr beschränkten Busverbindung an den nächsten Ort gefahren. Bei bisherigen Reisen habe ich gelernt, das unkonfortable und fordernde Reisen ein intensiveres Erlebnis erzielen. Schlussendlich führt dies zu interessanten Geschichten. Diese Erfahrung hat sich bei dieser Reise bestätigt.

Text:

Um den Text zu verfassen, habe ich mich auf die Gefühle und Erlebnisse gestützt, die ich während der Reise aufgenommen habe. Der Text soll eine Wertschätzung für die Natur und deren Schutz ausstrahlen, sowie das Verhältnis von Mensch zur Natur reflektieren.
Das Geschriebene soll die Bilder umrahmen und ihnen eine weitere Interpretationsebene geben. Gemeinsam mit Robyne Dubief habe ich den Text im Feinschliff korrigiert und überarbeitet.

Bilder:

Über die konzeptionelle Herangehensweise der Serie habe ich bereits im Text meine Gedanken geäussert, darum gehe ich nun auf die technischen Aspekte der Umsetzung ein. Nur mit einem Rucksack zu reisen erfordert eine gewissen Einschränkung. Ich habe mich entschieden neben meiner Kamera (Fujifilm GFX100S) die GF 32- 64mm und GF 100-200mm Objektive mitzunehmen. Die beiden Linsen decken eine grosse Range ab und ermöglichen mir die nötige Flexibilität. Zusätzlich hatte ich meine Drohne dabei.
Auf meiner Reise habe ich aufgrund des zusätzlichen Gewichts auf ein Stativ verzichtet. Erstaunlicherweise habe ich es nie vermisst.

Reflexion:

Anfangs war ich nicht zufrieden mit den Bildern. Ich fand sie nicht wirklich überzeugend und mir fehlte der konzeptionelle Rahmen, in welchen ich sie in eine Serie einordnen kann. Mit dem Beginn des Schreibprozesses und der Reflektierung meiner Gefühle, Emotionen und Gedanken habe ich wieder zu den Bildern gefunden. Mir wurde bewusst, wie Bilder mit genauer Analyse und Reflektierung, ihre Kraft entfalten können und mehr als nur visuell ansprechende Fotografien sein können. Trotzdem würde ich die Arbeit nicht als aussergewöhnlich gut betrachten. Dafür bräuchte ich ein paar Jahre mehr Zeit.