Am Verhandlungstisch mit einem Kriegsverbrecher

Die Schaffhauserin Charlie Zürcher (34) lebt und arbeitet jedes Jahr in einem anderen Land. Für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bekämpft sie humanitäre Katastrophen, schützt und hilft Menschen, die von bewaffneten Konflikten betroffen sind. Ihre erste Mission führte sie 2016 in den Südsudan. Im Interview erzählt sie von brenzligen Situationen im kolumbianischen Dschungel und von Gefängnisbesuchen im Irak. 

Charlie Zürcher, was machen Sie als Erstes, wenn Sie nach einer langen Zeit im Ausland wieder in der Heimat sind?
Vor allem im Winter esse ich immer ein Fondue mit meiner Familie. 

Sie haben ein Jahr im Irak für das IKRK gearbeitet und die Mission dort im Dezember 2021 beendet. Mit was für Gefühlen haben Sie das Land verlassen? 
Es sind immer gemischte Gefühle, wenn man einen Einsatz beendet. Das liegt vor allem an den Leuten vor Ort. Ich weiss, ich werde nicht mehr an meine Einsatzorte zurückkehren, denn es sind meistens Orte, die man als Tourist:in nicht besuchen kann. Sich von den Mitarbeitenden zu verabschieden und zu wissen, dass man sie ziemlich sicher nicht wieder sieht, ist schon hart.  

Wie kann man sich das Leben im Irak vorstellen? 
Wir waren ziemlich eingesperrt und lebten mit der höchsten Sicherheitsstufe des IKRK. Wir konnten jeweils einmal am Wochenende Lebensmittel einkaufen. Dafür standen zwei Supermärkte zur Auswahl. Wir wurden im Minivan hingefahren und mussten gleich wieder gehen. Sonst haben wir unseren Compound nur für die Feldarbeit verlassen. Das bedeutete, dass Arbeit und Privatleben auf kleinem Raum stattfanden. Ich musste mir selbst eine Work-Life-Balance kreieren. 

Gab es einen Alltag?
Das ist schwierig mit dem IKRK. Man kann sich etwas vornehmen für den nächsten Tag, aber es kommt bestimmt nicht wie geplant. Aber im Irak hatten wir immer am Freitag und Samstag frei und dann schafft man sich auch ein paar Routinen. Das ist sehr wichtig, um das Jahr unter diesen Umständen zu überstehen. 

Schon als Kind viel gereist: Charlie Zürcher (34) ist in Mauritius geboren, lebte danach in Kenia und kam mit sechs Jahren in die Schweiz. (Bild zVg)

Wie sah Ihre Arbeit im Irak aus? 
Der Irak befindet sich in einer Post-Konflikt-Situation. Das IKRK unterstützt dort beispielsweise Haushalte, die von Frauen geführt werden. Das heisst wir überlassen den Frauen Kühe für eine bessere Lebensgrundlage. Sie können sich von der Milch ernähren und diese verkaufen. Auf diese Weise erhalten sie ein kleines Einkommen. Wir unterstützen zudem Spitäler und besuchen verschiedene Gefängnisse, um zu kontrollieren, ob die Insassen richtig behandelt werden. 

Das IKRK ist weltweit angesehen, trotzdem stelle ich es mir schwierig vor, dass die Delegierten überall Zugang bekommen. Wie reagieren die Behörden auf Ihre Gefängnisbesuche?
Je nach Land ist der Zugang einfacher und wir brauchen mal mehr oder weniger Verhandlungsgeschick. Manchmal sind auch mehrere Treffen nötig, bis wir an unser Ziel kommen. Das humanitäre Völkerrecht schreibt aber vor, dass das IKRK Zugang zu den Gefängnissen bekommt und dass wir im Gegenzug vertraulich arbeiten. Wir tragen nicht an die Öffentlichkeit, was wir sehen. Wie es in den Gefängnissen aussieht, darf ich daher nicht sagen. 

Wenn Ihnen in den Gefängnissen Missstände auffallen, handelt das IKRK selbst?
Die Hauptverantwortung liegt grundsätzlich bei den Behörden. Aber im Südsudan beispielsweise war die Regierung nicht in der Lage, genug Nahrung, Matratzen und Seife für die Insassen bereitzustellen. Dort mussten wir selbst handeln. Das IKRK hat ein Ernährungsprogramm für Untergewichtige ins Leben gerufen. Wir lieferten monatlich Essen und haben eine neue Gefängnis-Küche gebaut. Im Irak hingegen haben wir kein Essen in die Gefängnisse geliefert. Dort organisierten wir Hygieneprodukte für die Insassen sowie Decken und Kleider für die kalten Wintermonate.

Interview hier weiterlesen.

(ash)

01 | Workflow
Das Interview habe ich ursprünglich als weitere Folge für meinen Podcast aufgenommen. Leider ist mir bei der Aufnahme ein Fehler passiert, die Tonqualität war zu schlecht und Charlie Zürcher schon in den Ferien – bis Mitte Januar. Ein Plan B musste her. Ich habe das 50-minütige Interview also transkribiert und es als schriftliche Version abgegeben.

02 | Umsetzung
Das Audio-Interview habe ich mit einem RØDE NT-USB-Mikrofon aufgenommen. Die Illustrationen entstanden auf dem iPad mit Procreate. Das schriftliche Interview wurde in Adobe InDesign gestaltet.

Nach einer intensiven Recherche habe ich Charlie Zürcher für ein Vorgespräch getroffen und danach die Audio-Aufnahme gemacht. Ich versuchte die schlechte Tonqualität noch zu retten, aber vergeblich.

03 | Recherche
Als Vorbereitung für das Interview dienten mir Texte von verschiedenen News-Portalen, die Internetseite des IKRK, bereits veröffentlichte Interviews und eine mehrteilige IKRK-Dokumentation von SRF. Ausserdem führte ich ein intensives Vorgespräch mit Charlie Zürcher, um vor der Aufnahme des Interviews mehr über sie zu erfahren. Als Recherche über den Ukraine-Konflikt dienten mir Berichte des Tagesanzeigers und von SRF.

04 | Herausforderungen
Wir mussten zwar bereits im dritten Semester ein schriftliches Interview einreichen, abgesehen davon habe ich aber keine Erfahrungen damit. Daher habe ich mir ein paar Tipps bei erfahrenen Print-Journalist:innen geholt, denn ich war unsicher, wie fest ich den Text bei der Übersetzung ins Schriftdeutsche verändern darf oder muss. Auch nach zahlreichen Überarbeitungen tönte es noch sehr holprig. Meiner Meinung nach sollte es nach gesprochener Sprache tönen, aber auch nicht zu fest.

Das Audio-Gespräch dauerte über 50 Minuten, was allerdings viel zu lange ist für ein schriftliches Interview. Trotzdem habe ich anfänglich alle Fragen transkribiert. Die Kürzung stellte sich als weitere Herausforderung dar. Ich konnte mich nur schwer von einigen Aussagen trennen.

Das Interview habe ich mehrere Male durchgelesen und mich immer wieder auf neue Dinge konzentriert. Füllwörter herausgestrichen, Kommasetzung, Grammatik, Inhalt. Ich fand es sehr spannend, die Fragen neu anzuordnen und umzuschreiben.