Übers Mut haben

Auf der Suche nach meinem Digezz-Projekt habe ich etwas anderes gefunden: Meinen Mut

Disclaimer: Das hier soll kein Fühlsch mi, Gspürsch mi Text sein, sondern dich mit auf die Gedankenreise nehmen, die mich schlussendlich zu meinem Beitrag geführt hat.

«Entwickle ein Videoformat, um Poetry Slams erlebbar zu machen.» Das war die ursprüngliche Aufgabe, die mir Thomas im Digezz Coaching gegeben hat. Entstanden ist etwas völlig anderes – Oder doch nicht? 

Wie macht man einen Poetry Slam erlebbar?

Diese Frage zieht diverse Folgefragen mit sich: Was macht einen Poetry Slam zu einem Poetry Slam? Ist es der Text? Das Thema? Wie er gesprochen oder betont wird? Wer ihn spricht? Wer im Publikum sitzt? Braucht es überhaupt ein Publikum? Ist eine Bühne notwendig? Oder reicht ein Mensch, der einfach etwas erzählen will, aus?

Solche Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum, während ich versuchte, einen Drehplan für meinen Slam zu erstellen. Sollte ich mit zehn Kameras filmen? Jede aus einem anderen Blickwinkel? Am besten noch mit Drohne, die mittendrin vorbeifliegt? Oder doch lieber nur mit Handykamera, damit der Slam-Content in mundgerechte TikTok Stücke zerteilt werden kann, um der immer kürzeren Aufmerksamkeitsspanne der Jugend entgegenzukommen? 

Was hängen blieb, war der Plan, mit zwei Kameras zu drehen. Eine mit einer Frontalansicht und eine mit einer Seitenperspektive (Die GoPro-Vogelperspektive wurde wieder verworfen, das sah irgendwie dämlich aus). Ganz nach KISS, keep it simple, stupid. Schlussendlich wäre es von Vorteil, wenn das Endergebnis einigermassen reproduzierbar wäre, und das ist bei aller Liebe zu Drohnen einfach nicht der Fall.

Mein Versuch mit der GoPro Vogelperspektive

Nun musste also nur noch so ein Slam-Text her. Als professioneller Slammer hätte ich jetzt natürlich einfach mein Notizbuch gezückt und einen aus der Retorte vorgetragen. Da dies jedoch nicht der Fall ist, musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Dabei kommen die besten Texte meiner Meinung nach, in dem man mit offenen Augen und Herz durch die Weltgeschichte geht und sich leiten lässt.

Zwei Zufälle und eine Sinnkrise

Da passierten deren zwei Zufälle. Zum einen fiel mir in der Schule ein Werbeplakat von yuh auf, einem Joint Venture (MBWL I) von Swissquote und Postfinance. Die Challenge: Ein Bewerbungsvideo einsenden und eine Kreditkarte im Ausland testen, mit einem Budget von 5’000 Franken. Die perfekte Herausforderung für einen frischen MMPler, der immer knapp bei Kasse ist. 

Die Ausschreibung von yuh

Das entstandene Video ist zwar nicht perfekt, hat es aber in sich. Wegen der Formulierung: «Du verreist an den Urlaubsort deiner Wahl, nur mit deinem Pass, deinem Handy und deiner Yuh-Karte im Gepäck.» kam mir eine sehr dämliche Idee. Ich stellte mich morgens um eins «füdliblutt» an eine Bushaltestelle und filmte mich dabei (Das Video ist auf meinem OnlyFans abrufbar*). Lange Rede kurzer Sinn, meine Bewerbung war die kreativste und ich darf diesen Sommer auf Reisen gehen. (Wer sagt jetzt noch «öppis mit medie» gibt kein Geld??)

Ein Uhr morgens an der Bushaltestelle

Der zweite Zufall war weniger schön. Als ich mich online über einen ehemaligen Arbeitskollegen informieren wollte, musste ich feststellen, dass dieser leider verschieden war. Da er nur ein paar Jahre älter war als ich, traf mich sein Tod besonders hart. Trotz seiner starken Social Media Präsenz erfuhr ich erst drei Monate nach seinem Versterben davon. Ich machte mir Gedanken, wer sich wohl an mich erinnern würde, wenn ich plötzlich weg wäre?

Jetzt nur noch aufnehmen…

Diese beiden Zufälle bildeten die Grundlage für meinen Poetry Slam. (Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das der richtige Begriff für mein Werk ist.) Ich gebe zu, ich traue mich viel, aber diesen persönlichen, etwas intim geratenen Text mit der Welt zu teilen, kostete mich einiges an Überwindungskraft und bereitete mir schlaflose Nächte. Dadurch, dass keine Zuschauer oder Zuhörer anwesend waren, gelang es mir einfacher, den Text ins Mikrofon zu sprechen und in die Kamera zu schauen. Mir graute vor dem Tag, an dem ich mir selber auf dem Bildschirm in die Augen sehen müsste, um den Clip zu schneiden. 

Doch auch dieser Tag liegt jetzt hinter mir und das Werk ist vollbracht. Ich habe meinen Mut gefunden, vielleicht findest du Deinen auch?

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*Guckst du hier

(stm)

Prozess

  1. Themenfindung
    Der Weg zum ersten Digezz Projekt führt meistens über Thomas. So bin ich dann auch mit meiner Liste an möglichen Projekten im Videocall gesessen und habe erzählt, was mich so umtreibt. Irgendwo zwischen ASMR-Videos und interaktivem Hörspiel sind wir dann beim Poetry Slam stehen geblieben. Ein Videoformat musste her. Wie mein Weg dahin war, hast du oben schon gelesen.
  2. Location
    Ein Poetry Slam gehört auf eine Bühne. Deshalb war klar, das von irgendwo eine Bühne her musste. Da ich mich seit ein paar Jahren ehrenamtlich für das ZAK, ein Konzertlokal in Rapperswil-Jona einsetze, war diese schnell organisiert. Der Vorteil lag auf der Hand: Abgesehen von den Kameras war alles Equipment das ich für mein Projekt benötigen würde, bereits vor Ort und musste nur noch aufgestellt werden.
  3. Videodreh
    Für das Drehen des Videos hatte ich eine Woche Zeit veranschlagt, in der ich immer wieder daran filmte. So hatte ich das Glück, dass das ZAK unter der Woche nicht besetzt war und ich das Equipment einfach stehen lassen und dann am nächsten Tag gleich wieder loslegen konnte. Wie im Text oben angesprochen, wollte ich ursprünglich viel verrückter drehen, mit den unterschiedlichsten Einstellungen und Sichtwinkeln. Ich musste dann aber einsehen, dass das alleine kaum machbar war, da ich während des Vortragen des Textes kein Publikum oder Kamerapersonal haben wollte. Deshalb war ich, nachdem mir eine Einführung gegeben wurde, wie ich das Bühnenlicht verwenden konnte und wie das mit dem Ton der Anlage funktionierte, auf mich allein gestellt.
  4. Postproduction
    Nachdem ich das Video im Kasten hatte, brauchte ich erst einmal ein bisschen Abstand davon. Ich hatte Angst, mir selber während der Postproduction nicht zuschauen oder hören zu können, weil es doch eine sehr persönliche Story war. Deshalb hab ich zu spät festgestellt, dass die beiden Kameras in unterschiedlicher Framerate und unterschiedlich toll gefilmt haben. Mir gefällt die Frontansicht sehr viel besser als die etwas weiter entfernte Seitenansicht, welche Graining aufweist. Dieses liess sich leider auch in der Post nicht vernünftig entfernen. Bei den Audiospuren hab ich ein bisschen experimentiert, um zu schauen, was für ein unterschiedlicher Effekt entsteht. Je nach Audio-Version, verändert sich meiner Meinung nach der Sinn der Videobotschaft ein wenig. Die aktuelle Version hat ein wenig Reverb drauf, so dass das Gefühl eines grösseren Raumes entsteht und mehr Leute angesprochen werden. In einer anderen Version tönt das Video jedoch mehr wie ein Podcast und scheint somit persönlicher zu wirken. Ich gib zu, ich bin kein Profi, wenn es um das Thema Videoschnitt geht, diese sind zuweilen etwas hastig oder unsauber geraten.

Selbstkritik:

Gut:

  1. Ziel erreicht: einen Poetry Slam schreiben und diesen auf Video aufnehmen
    Auch wenn es kein Poetry Slam im klassischen Sinne ist, übermittelt das Video meine Botschaft doch recht gut
  2. Zwei Kameras und eine Bühne führen zu unerwarteten Ergebnissen
    Ich habe getraut loszulassen, wo andere normalerweise eher erstarren: Auf der Bühne und vor der Kamera
  3. Dokumentation
    Für das, dass ich normalerweise sehr chaotisch bin, hatte ich dank einer sauberen Beschriftung der Dateien und Ordner kaum mit Strukturierungsproblemen zu kämpfen. Mein Lifehack: Mit Malertape ein Raster erstellen und die SD Karten dort einsortieren. Funktioniert fantastisch.

weniger gut:

  1. Projekte alleine geben Freiheit, nehmen aber Spielraum
    Besonders beim Bedienen des Tons und der Kameras ist mir das aufgefallen. So musste ich jedes Mal, wenn ich eine Einstellung hatte, zurück auf die Bühne stehen, wieder herunter steigen, die Aufnahme stoppen, die Aufnahme anschauen und dann entscheiden, ob diese Einstellung brauchbar war oder nicht.
  2. Videoqualität der Seitenkamera
    Was mich wirklich nervt ist das unsaubere Video bei der Seitenperspektive. Da muss ich das nächste Mal das Auge darauf haben.

Erkenntnisse

  1. Allein ein Videoprojekt auf die Beine zu stellen erfordert viel Arbeit, besonders wenn man sowohl vor der Kamera steht, als auch alle Aufgaben dahinter alleine stemmt
  2. Statt eines Poetry Slams geht dieses Video in eine völlig neue Richtung, es kann als ein Art Ventil dienen, um Sachen loszuwerden, die man sich sonst nicht getrauen würde auszusprechen