Der Aufbau unseres Gedächtnissystems ist immer gleich, da gibt es keine Individualität. Was sich natürlich unterscheidet sind die Inhalte. Die individuellen Erfahrungen sind anders. Der Vorgang der Erinnerungsbildung ist bei allen gleich. Erst der Abruf der Erinnerung ist individuell.
Das Gedächtnis ist sehr dynamisch. Es passt sich unserem Gemütszustand an. Generell merken wir uns Erlebnisse mit hohem emotionalem Wert, seien sie positiv oder negativ, besser als andere. Erinnerungen sind aber auch Situations- und Einstellungsbedingt. Leute, die an Krankheiten wie Depressionen leiden, sind schon in einer negativen Gesinnung. Deshalb erinnern sie sich eher an negative Erinnerungen. Umgekehrt hängen aber positiv eingestellte Menschen an besonders schönen Erinnerungen.
Dass sich Erinnerungen einbrennen ist wissenschaftlich gesehen ein Irrtum. Denn Erinnerungen werden bei jedem Abruf rekonsolidiert. In einer Studie mussten Probanden Tagebuch über ihre Erlebnisse führen. Später sollten sie diese wieder nacherzählen. Dabei stimmten die Geschichten nie hundertprozentig überein. Andere Informationen und Erinnerungen werden unbewusst hinzugefügt. Unter Umständen ist eine Erinnerung einfach falsch. Bekannt ist auch das 9/11-Beispiel: Viele Leute behaupten, sie wüssten noch genau, wo sie waren, als sie von den Anschlägen erfuhren. Tatsache ist, dass es die meisten nicht mehr wissen.
Starke emotionale Ereignisse bleiben uns besonders im Gedächtnis. Dies hängt mit der Amygdala zusammen, die im Speicher und Verarbeitungsprozess involviert ist. Je mehr Neuronen involviert sind, desto stärker ist die Erinnerung. Zu beobachten ist dies vor allem bei Patienten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Erkrankte erleben das emotionale Intensiv-Erlebnis in Form von Flashbacks. Dieses kann durch die leichtesten Assoziationen hervorgerufen werden.
Sobald eine Erinnerung in unserem Gedächtnissystem ist, kann man diese daraus nicht einfach entfernen. Es gibt aber die Möglichkeit der Extinktion: Bei Leuten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung wird der Patient in den Kontext der Erinnerung wieder zurückgeführt und beim Abrufen der Erinnerung etwas Positives hinzugefügt oder der Kontext an sich abgeändert.
Am besten erinnern wir uns an etwas durch mehrmaliges Wiederholen. Auch merken wir uns Dinge besser, die uns von persönlicher Bedeutung sind.
Ohne das Vergessen hätten wir ein riesiges Durcheinander unserer Gedanken. Wir würden einer starken Reizüberflutung ausgeliefert sein. Wir sind uns gar nicht bewusst, wie viele Reize auf uns einprasseln. Das Speichern ist ein Filterverfahren. Zuerst werden die Sinnesreize aussortiert, schliesslich gehen die Informationen ins Kurzzeitgedächtnis auch dort wird wieder selektioniert bevor die Information ins Langzeitgedächtnis gelangt.
Es gibt tatsächlich Leute, die nicht vergessen können. Dazu gibt es die Fallstudie AJ: Sie konnte sich an jeden Tag ihres Lebens erinnern. Dass sie nicht vergessen konnte, wurde für sie aber eine grosse Belastung. In der Gedächtnisforschung nennen wir dieses Phänomen das hyperthymestische Syndrom. Funktioniert der Filter im Gehirn nicht, ist dies eine Fehlfunktion. Personen mit diesem Syndrom werden oftmals als Genies beneidet, zu beneiden sind sie aber nicht, vielmehr tun sie mir leid, denn vergessen ist auch gut für unser Selbstbewusstsein. Unsere Erfolge merken wir besser als unsere Misserfolge. Wäre dies anders, wären wir gar nicht motiviert etwas Neues zu probieren.
Das Gedächtnis ist sehr labil, und deshalb können wir uns nicht immer auf unsere Erinnerung verlassen. Und was viele Leute nicht wissen: Das Abspeichern im Kurzzeitgedächtnis dauert nur 30 Sekunden bis 1 Minute, danach ist eine Erinnerung schon im Langzeitgedächtnis gespeichert. Gewisse Automatismen, wie die Haustüre nach dem Verlassen abzuschliessen, werden gar nicht erst aufgenommen. Deshalb erinnern wir uns an Routine-Vorgänge nicht mehr.
Eine Erinnerung könnte höchstens während dem Codieren, also wenige Stunden nach der Aufnahme gelöscht werden, danach ist die Erinnerung bereits fest im Gedächtnis verankert. Dies wäre über die Proteinsynthese möglich, schliesslich besteht unser Gehirn aus chemischen Vorgängen. Dabei würden wir aber für diesen Zeitraum einfach ein Blackout auslösen, zielgerichtet ist dies nicht möglich. Ansonsten wäre dies ein medizinischer Durchbruch.
False Memory ist ein Begriff aus der Forschung; hierbei werden verfälschte Erinnerungen beschrieben, also Erinnerungen, die wir so gar nicht erlebt haben. Entdeckt wurde dieses Phänomen vor allem bei Missbrauchsfällen. Wenn ein Mensch tatsächlich missbraucht wurde, dann sollte er sich daran noch erinnern können. Viele Menschen bauen aber einen Missbrauch in ihre Erinnerung ein, sobald sie an die Möglichkeit eines Übergriffs erinnert werden. Als dieses Phänomen entdeckt wurde, wurden in der Polizeiarbeit einige Dinge geändert. Bei Zeugenbefragungen werden Suggestivfragen nicht mehr angewendet. Zu den Suggestivfragen gibt es eine Studie von Loftus und Palmers. In den Untersuchungen wurden Probanden zu einem Verkehrsunfall befragt. Dabei bauten die Wissenschaftler in ihre Fragen extreme Worte, wie Crash oder Zerstörung ein. Nun meinten die Testpersonen einen Unfall mit schwerem Schaden beobachtet zu haben, obwohl sie das Geschehen zu Beginn anders wahrgenommen haben. Es ist also relativ einfach eine False Memory herzustellen. Es gibt dabei aber auch Leute, die auf verfälschte Erinnerungen anfälliger sind als andere. Vor allem amnestische Patienten sind davon betroffen. Denn ihr Gehirn versucht die Gedächtnislücken durch Fremdinformationen zu füllen. Im Fachbegriff nennt man dies Konfabulation. Dies geschieht dabei unterbewusst und Betroffene sind davon überzeugt, das Geschehene wahrhaftig so erlebt zu haben. Erscheinungen von False Memories treffen bei Patienten mit verschiedenen Krankheitsbildern auf: