Geschichte und Politik

Georgien hat eine reiche und vielfältige Geschichte, die jeden Aspekt des Landes durchflösst. Schon in der Antike war das Gebiet des heutigen Georgien für seinen Reichtum und seine Schönheit bekannt. Das legendäre Land Kolchis, wo der griechischen Mythologie zufolge Jason und die Argonauten das goldene Vlies suchten, befand in sich an der Westküste des heutigen Georgien. Noch heute kann man die Goldschätze des Königreichs in den Museen von Tbilisi bestaunen. Kartwelische Völker – die Vorfahren der heutigen Georgier – hatten schon seit Jahrtausenden in der Region gelebt. Die Georgier sehen einen Urenkel Noahs (der unweit von Georgien auf dem Berg Ararat in seiner Arche gelandet war) als Gründervater ihrer Nation. Zur Zeit von Julius Cäsar eroberten die Römer Georgien, was der Anfang von Jahrtausenden unter der Herrschaft von diversen Imperien war, welche sich gegenseitig in Georgien bekriegten. Die Hauptstadt Tbilisi ist in seiner Geschichte mehrmals von Invasoren niedergebrannt worden. Abwechselnd hielten Griechen, Osmanen und Perser die Macht in Georgien. Trotzdem erlebten die Georgier einige Blütezeiten der Selbstherrschaft – insbesondere unter Königin Tamar, die so mächtig wurde, dass sie in Schriften der Zeit als „mep’e“ (König) bezeichnet wurde

Die turbulente Beziehung zwischen Russland und Georgien begann im Jahr 1770, als König Erekle II von Georgien mit seinen mächtigen, ebenfalls christlich orthodoxen Nachbarn ein Bündnis gegen muslimische Angreifer schloss. Doch schon bald hatten die Russen alle georgischen Königreiche annektiert und in ihr Reich eingeschlossen. Im 19. Jahrhundert wurde Georgien erstmals zur beliebten Reisedestination für wohlhabende Russen – selbst die Zaren liessen sich in Bordschomi bei den Heilquellen einen prunkvollen Palast bauen, Puschkin schwärmte von den Bädern von Tbilisi. Als das riesige Zarenreich der kommunistischen Revolution zum Opfer fiel, war natürlich auch Georgien betroffen. Im Chaos direkt nach dem Fall des Regimes erlebten die Georgier eine kurze Zeit der Unabhängigkeit. Doch nach nur einem Jahr hatte die Rote Armee die Macht übernommen und Georgien wurde zu einer Republik der Sowjetunion. Zu den Anführern der Revolution gehörte der Sohn eines Schusters aus Gori, einer kleinen Stadt unweit von Tbilisi. Nachdem er seine Priesterausbildung abgebrochen hatte, wurde er zu einem Propagandisten, Schmuggler und Bankräuber im Dienste der Partei Lenins – sein treuster Schüler im Kaukasus. Ioseb Bessarionis dse Dschughaschwili – oder Stalin, wie er sich nannte – würde von den Strassen Tbilisis zu einem der mächtigsten Männer der Welt aufsteigen. Auch wenn er als Diktator der Sowjetunion Georgien vielleicht gerade wegen seiner Herkunft besonders strikt behandelte, umgab sich Stalin mit vielen treuen georgischen Ministern und Beamten. Mehrere Jahrzehnte lang spielten Georgier tragende Rollen in der Regierung einer Supermacht. Stalin bleibt in der ehemaligen Sowjetunion, trotz seiner schrecklichen Verbrechen, eine beliebte Figur: die Modernisierung des Landes und der Sieg über Nazideutschland bleiben gut in Erinnerung. In Georgien ist dieses Phänomen sicher dadurch akzentuiert, dass er ein einfacher Sohn des Landes war.

Georgien erklärte 1991 seine Unabhängigkeit von der zerbröckelnden Sowjetunion. Beinahe sofort stürzte das Land in ein Chaos. Die nördlichen Gebiete Abchasien und Südossetien kämpften für ihre Autonomie, während sich in Tbilisi verschiedene Gruppen Strassenschlachten lieferten. Nach einem Eingriff Russlands konnte die Lage beruhigt werden, doch die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien waren verloren und für hunderttausende Flüchtlinge gab es kein Zurück mehr. Jahrelang litt Georgien unter extremer Armut und Korruption. Nach Protesten gegen eine verfälschte Wahl 2003 kam der junge Micheil Saakaschwili an die Macht. Er startete umfassende Reformationsprogramme, welche der Korruption und dem organisierten Verbrechen erfolgreich entgegenwirkten. Sein Ziel war es, Georgien zu einem modernen, europäischen Land zu machen. Dies zeigte sich unter anderem in seinem Interesse an zeitgenössischer Architektur. Somit sollte das Image des Landes verbessert werden. Doch sein Versuch, die Probleme mit den abtrünnigen Gebieten zu lösen, wurde zum Desaster. Im Jahre 2008 eskalierte ein Gefecht zwischen georgischen und südossetischen Truppen zum Krieg, bei dem Russland zur Seite Südossetiens sprang. Die Russen drangen bis fast nach Tbilsi vor, georgische Städte wurden bombardiert und wieder wurden tausende Georgier aus ihren Dörfern in Südossetien vertrieben. Nach fünf Tagen konnte mit Hilfe der EU ein Waffenstillstand vereinbart werden. Aber die Folgen des Krieges waren verheerend. Georgien musste eine neue Flüchtlingswelle unterbringen und eine Lösung zum Konflikt mit Abchasien und Südossetien scheint noch heute unerreichbar.

Dies und seine zunehmend diktatorischen Züge trugen zum Fall Saakaschwilis bei. 2012 verlor seine Partei die Parlamentswahlen und ein Jahr später musste er als Präsident abtreten. Die macht übernahm das Parteibündnis ‚Georgischer Traum’ unter der Leitung der Milliardärs Bidsina Iwanischwili. Seine Partei wollte sich immer noch Europa nähern, aber gleichzeitig bessere Verhältnisse mit Russland aufbauen. Doch diese doppeldeutige Politik war für Viele enttäuschend. Bei den Parlamentswahlen am 8. Oktober 2016 siegte zwar der Georgische Traum, doch mit einem weniger überzeugenden Resultat. Saakaschwilis ehemalige Partei UNM (United National Movement) erreichte etwa halb so viele Stimmen, was davon zeugt, dass Georgier seine Missetaten noch nicht verziehen haben. Das Markanteste an den Wahlen war, dass die georgische Bevölkerung von der Politik noch immer sehr desillusioniert ist. Die Wahlbeteiligung war verhältnismässig tief und etwa ein Fünftel der abgegebenen Stimmzettel waren ungültig ausgefüllt.

Gespräch mit Taxifahrer

Taxifahrer: Saakaschwili ist momentan in der Ukraine. Im Oktober gibt es hier in Georgien Wahlen, dabei wollen alle, dass Saakaschwili zurückkommt. Kriminelle mögen Saakaschwili nicht, alle anderen lieben ihn. Aber Saakaschwili kann nicht zurückkommen, er ist ja kein georgischer Staatsbürger mehr? Taxifahrer: Ja, aber weisst du, Amerika wird das regeln, wenn Amerika das will. Wen magst du mehr, die Russen oder die Amerikaner? Na ja, Putin mag ich auf jeden Fall nicht. Taxifahrer: Putin ist ein schlechter Mensch. Amerika ist demokratisch, Amerika ist gut. Die georgische Wirtschaft blühte, bis Putin kam! Danach gab es keine Wirtschaft mehr...

Georgien – Willkommen im Kaukasus – 2016
ein Projekt von Carmina Grünig und Sebastian Hubacher