Das Leben unter dem Schreckhorn
Im Juni 2022 verbrachte ich drei Tage auf der Schreckhornhütte in den Berner Alpen. Mit dem Ziel herauszufinden, wie es ist, so nah an der Natur zu leben. Was unterscheidet das Leben in einer Berghütte auf 2530 Meter zum Alltag im Tal?
Ich begleitete das Hüttenteam durchgehend bei ihrer Arbeit. Trotz der hektischen und langen Tage erlebte ich Menschen, die eine grosse Zufriedenheit und Dankbarkeit ausstrahlen. Die Landschaft veränderte sich konstant. Das Licht, die Wolken und der Wind spielten ein Lied. Es wirkte, als würde jemand den Takt angeben. Dann grollte es durchs Tal. Immer wieder brachen Gletscherstücke ab. Sie hinterliessen eine weisse Wunde, ganz frisch und verletzt. Der Gletscher so fragil wie er sich nicht zeigen wollte.
Hier geht es zur Bildergeschichte.
Ein Interview vom 13. Juni 2022 mit Urban Hüsler, dem Hüttenwart der Schreckhornhütte
Du warst früher als Lehrperson tätig, was ist der grösste Unterschied von deinem früheren Leben zu jetzt?
Streng ist es in beiden Jobs. Aber die Rückmeldungen hier oben sind sensationell. Im Lehrerjob waren diese sehr dürftig und das ist auch ein Grund, wieso ich hier oben festhalte, wo die Arbeit geschätzt wird.
Wie erlebst du die Natur hier oben?
Ich kann einfach rausschauen und die Aussicht ist wunderbar! Früher bei den Bergtouren, merkte ich das es mich enorm zufrieden macht, in den Bergen zu sein. Ich kann nicht am Meer liegen, das macht mir überhaupt kein Spass. Hier kann ich von der Energie und der Fülle der Berglandschaft Energie tanken. Ich staune jeweils selbst, wie ich mit wenig Schlaf und Auszeit auskommen kann. Die Kombination mit den Gästen und im Team sind einfach schön. Diese Wertschätzung trägt mich.
Was sind die schönsten Momente hier oben?
Wenn wir nach einer hektischen Phase endlich das Abendessen auftischen können und positive Rückmeldungen von den Gästen erhalten. Hier oben treffen so viele verschiedene Nuancen aufeinander. Zum Beispiel wenn die Bergsteiger:innen von einer erfolgreichen Tour zurückkehren und von ihrem Abenteuer schwärmen. Das sind wahnsinnige Momente.
Wie merkst du das sich die Landschaft durch die Erderhitzung verändert?
Man hört es. Täglich. Wir hören es rumpeln, und schauen raus, wo der Gletscher wieder blutet und wo etwas abbricht. Das der Gletscher immer wieder abbricht ist normal, aber das von oben nichts mehr nachfliesst, das ist das tragische.
Wir sind nicht unmittelbar mit den Gefahren der Gletscherschmelze, wie zum Beispiel von Steinschlag konfrontiert. Die Verhältnisse für die Besteigung der umliegenden Gipfel werden jedoch im schwieriger. Durch den Gletscherschwund bilden sich grosse Spaltenfelder, die in der Zukunft vielleicht nicht mehr zu durchqueren sind. Das wäre für unsere Hütte einschneidend, denn wenn die Gipfel nicht mehr begehbar sind, fehlen uns die Menschen auf der Hütte. Dann kann es plötzlich ein existenzielles Problem für uns werden.
Nachtrag aus einem Mail von Urban am 13.09.22: «Das Schreckhorn kann leider nur noch sehr aufwendig und risikoreich bestiegen werden. Es wurde schon seit etwa zwei Wochen nicht mehr gemacht; der Gletscher ist so sehr auseinandergerissen, dass die Begehung schwierig und gefährlich geworden ist. Trotzdem dürfen wir in dieser Saison einen neuen Besucherrekord verzeichnen, was uns natürlich sehr freut!! 1641 Gäste sind es bis jetzt gewesen, und wir sind noch zwei Wochen auf der Hütte…. ! (Rekord von 2020: 1575 Gäste)»
Wie ist der Anteil der Gäste, die eine Gipfelbesteigung planen?
In dieser Saison ist der Anteil etwa 50%. Unter der Woche besuchen uns eher Tourengänger, die aufs Schreckhorn oder das Strahlegghorn wollen. Am Wochenende sind es praktisch nur Hüttenbesuchende. Die Schreckhornhütte profitiert mit ihrer Lage als Ausgangspunkt für die grossen 4000er Berge sehr.
Wie seht ihr eure Rolle als Hütte in der Thematik der Klimaerhitzung?
Für mich ist es fantastisch, wenn ich die Menschen beobachten kann, wie sie hier hochkommen und die Landschaft einfach nur gigantisch finden. Mit dem Sensibilisieren wir sie auch, dass diese Gletscherwelt ein Wunder der Natur ist. Auch der Weg hier hoch, ist frei von Zivilisation. Nur das schon zu erleben, erzeugt ein Bewusstsein für die Natur. Ich sehe uns hier oben als wichtigen Berührungspunkt mit der Natur. Wir bieten die Gelegenheit in dieser Landschaft zu wohnen und verweilen.
Könnten ihr mit mehr ökologische Massnahmen, wie zum Beispiel ein Verzicht auf Fleischprodukte für den Klimaschutz inspirieren, oder denkst du das stösst eher auf Abneigung?
Da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich sehe einerseits eine Notwendigkeit in der vegetarischen Ernährung. Anderseits sehe ich auch die Energie, die unsere Gäste brauchen. Wir streben lieber eine Mischform von Fleisch- und vegetarischen Produkten an.
Ich habe gehört, dass ihr euch überlegt nur auf Bio Produkte umzusteigen?
Ja, doch das ist auch eine finanzielle Frage. Die Hütte ist an sich schon nicht für alle Besuchende, vorwiegend aus dem Ausland zahlbar. Mir ist bezüglich Ökologie wichtiger dass die Produkte regional sind, als das sie Bio sind.
Wie viele Helikopterflüge habt ihr?
All 2-3 Wochen. Wir würden gerne das Gletscherwasser trinkbar machen. Die Getränke machen einen Grossteil des Gewichts bei Helikopterflüge aus. So können wir vielleicht einige Transportrotationen reduzieren.
Gibt es wetterbedingte Herausforderungen so nah an der Natur zu leben?
Ich finde es gibt keine grossen Herausforderungen. Es ist in jedem Wetter reizvoll da oben zu sein. Auch bei Nebel, Regen und Schneefall. Die grösste Herausforderung ist das man dies mit der Zeit nicht mehr wahrnimmt. Man wird ein wenig abgestumpft, was ich eigentlich nicht möchte. (lacht) Es ist auch völlig normal, dass es Zeiten gibt, wo niemand da ist. Das ist auch schön, wir geniessen die Ruhe und Abgeschiedenheit.
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Mir gefällt die Arbeit auf der Hütte. Ich merke das ich es momentan körperlich leisten kann. Die grössere Knacknuss ist das Privatleben. Ich lebe zusammen mit meiner Partnerin. Über drei Monate getrennt zu sein ist für uns nicht immer einfach.
Gibt es ein Highlight?
Nein das gibt es nicht. Es ist mehr ein Grundgefühl, das es mir wohl ist. An diesem Ort, mit diesen Menschen, das bestätigt es.
Wieso braucht es Berghütten?
Berghütte haben einen historischen Hintergrund. Diese wurde als Schutzhütten errichtet, um in den gefährlichen Bergen Zuflucht zu finden. Man nennt den grossen Stein vor der Hütte «Biwakstein» und man sagt das hier die Erstbesteiger des Schreckhorns biwakiert haben.
Denkst du die Hütte wird irgendwann nicht mehr bewirtbar sein?
Nein ich denke nicht, auch wenn die 4000er Gipfel nicht mehr begehbar werden, entstehen neue Dinge. Ich glaube es werden in der Zukunft neue Wege gefunden, wie die Hütte bewartbar ist.
Wäre die Welt besser, wenn mehr Menschen die Natur erleben können?
Ich kann mir vorstellen, dass viele Themen nicht so aufgeblasen werden würden, wenn der Mensch sich und seinen Körper in der Natur wieder mehr spürt. Wenn die Herkunft vom Wesen auch erlebt und gespürt wird, denke ich das der Inhalt und die Wahrheit vieler Themen ganz an einem anderen Ort läge.
Die Idee eine Reportage auf einer Bergütte zu machen, bestand schon länger. Im Juni 2022 an einem Freitag überwand ich mich schliesslich, schrieb Urban eine Mail und am nächsten Montag sass ich bereits im Zug nach Grindelwald. Ich war in den Jahren zuvor bereits zwei Mail auf der Hütte und kannte die Gegend. Ich war damals kurz mit Urban im Gespräch und konnte ahnen das er bei einem Projekt wie diesem mitmachen könnte. Im Gepäck waren zwei Kameras, eine Drohne und Audiogeräte. Nach der 5 Stunden Wanderungen, angekommen bei der Hütte wusste ich nicht was ich hier soll, wie ich dazumal im Tagebuch schrieb: «Ich finde es schwierig herauszufinden, was ich hier fotografieren will. Ich mache mich noch etwas schwer auf die Leute zuzugehen.» Und das war wirklich die grösste Herausforderungen. Denn vorher habe ich vor allem Landschaften fotografiert. Menschen so nahe zu begleiten und zu fotografieren war neu. Darum legte ich die Kamera erst mal weg und wollte das Hüttenteam besser kennen lernen. Am nächsten Tag fühlte ich mich besser. Ich wurde unscheinbarer. Die Situation wurde entspannter. Ich hatte Glück das, die Menschen vom Hüttenteam mich so offen und freundlich aufgenommen haben.
Ich denke die Serie zeigt eher einen Einblick ins Hüttenleben, als eine Geschichte auf, die in einem grösseren Kontext eingeordnet werden kann. Schlussendlich habe ich das Projekt auch sehr kurzfristig und ohne grosse Planung im Vorhinein umgesetzt. Drei Tage waren dann doch etwas kurz und ich wäre gerne länger auf der Hütte geblieben. Trotzdem war es eine enorm wertvolle Erfahrung. Die Tage auf der Hütte waren sehr erfüllend und haben mir wieder gezeigt, wie wichtig es ist, einfach mal loszugehen und zu schauen was passiert. Dann entstehen oft die überraschend schönen Momente.
Ich wusste anschliessend lange nicht, was ich mit den Bildern machen sollte. Habe ewig an der Serie gefeilt, ohne zufrieden zu werden. Jetzt ein halbes Jahr später habe ich die Bilder mit neuem Blick angeordnet und einen Weg gefunden, der mir gefällt.