Kolumbien – Zwei Blickwinkel

Die Kolumbianer sind ein offenes und herzliches Volk, doch eher ungern sprechen sie über die politische Situation ihres Landes. Anders ist es bei Jenn. Jenn erzählt gerne. Sie erzählt von den Fischern, die immer wieder Kilos von Kokain im Meer finden, von den korrupten Polizisten, den Guerillas, die im dichten Urwald ihre Lager aufgestellt haben, der afrokolumbianischen Bevölkerung, welche als Sklaven ins Land gebracht wurde, den schwangeren Teenagerinnen und machistischen Männern.

Drei ausgewählte Themenbereiche werden genauer beleuchtet. Sie werden objektiv und faktisch beurteilt. Dem gegenübergestellt werden die subjektiven Meinungen und Erfahrungen von Jenn.

Portrait

Über das Land

Kolumbien ist ein beeindruckendes Land. Es ist ein Land der Vielfalt. So gehört es beispielsweise zu den artenreichsten Ländern der Welt in Bezug auf seine Tier- und Pflanzenwelt. Zudem ist es ein Land der Kontraste. Kontraste zwischen Arm und Reich, zwischen modernen Millionenstädten und abgelegenen Bauerndörfern, zwischen undurchdringbarem Dschungel, kahlen Wüsten und massiven Bergketten sowie zwischen brutalem Krieg und überwältigender Lebensfreude und guter Laune.

Kolumbien ist das viertgrösste Land Südamerikas und liegt am Äquator. Dadurch hat es keine Jahreszeiten, wie wir sie kennen, sondern eine Trocken- und eine Regenzeit. Während des Jahres gibt es nur geringe Temperaturschwankungen. Das Klima unterscheidet sich auf Grund der unterschiedlichen Höhenlagen, vom Meeresspiegel bis auf 5'000 Meter Höhe, in den verschiedenen Regionen jedoch sehr. So begegnet man auf einer Reise durch das Land abwechslungsreichen Landschaften von Savannen zu Sumpfgebieten, über üppigen tropischen Regenwald zu geheimnisvollen Berg- und Nebelwäldern.

Mehr als 77% der kolumbianischen Bevölkerung lebt in den Metropolen. Dazu gehören Bogota, Medellín, Cali, Barranquilla und Cartagena. Die Hauptstadt bildet Bogota, eine in der Mitte des Landes auf 2500 Meter in den Anden liegende Stadt mit 9,7 Millionen Einwohnern.

Ungefähr neun von zehn Kolumbianern leben in der Andenregion oder an der Karibikküste. Diese Regionen nehmen weniger als die Hälfte der Landesfläche ein. So zählen beispielsweise die von dichtem Urwald überzogenen Gebiete Amazoniens oder der Pazifikküste wenige bis keine Einwohner.

Die gesamte Bevölkerung zählt 49,4 Millionen Personen. Auf Grund der kolumbianischen Besiedlungsgeschichte besteht die Bevölkerung aus einer Vielzahl verschiedener ethnischen Gruppen. Es gibt über 80 verschiedene Volksgruppen. Grob einteilen könnte man sie in Mestizen, Kreolen, Afroamerikaner und indigene Ureinwohner.

Mestizen sind die Nachkommen eines europäischen und eines indigenen Elternteiles. Kreolen sind die Nachfahren der europäischen Kolonisten. Die Afrokolumbianer wurden als Sklaven aus Afrika ins Land gebracht und die indigene Bevölkerung sind die Ureinwohner Kolumbiens.

Die verschiedenen Ethnien hinterliessen einen bunten und interessanten Mix in Kolumbiens Kunst, Kultur und Musik.

Die Landessprache ist Spanisch, wobei es regionale Dialekte gibt. Zusätzlich werden von den Ureinwohnern 65 indigene Sprachen gesprochen. Sie werden in den jeweiligen Regionen zum Teil auch als Landessprache anerkannt. Auf den zwei Inseln der Karibik, San Andrés und Providencia, welche ebenfalls unter kolumbianischer Obhut stehen, wird kreolisches Englisch gesprochen. Abgesehen von diesen beiden Inseln und im Umfeld internationaler Unternehmen und grosser Universitäten, wird nur brüchiges Englisch gesprochen.

Kolumbien ist ein sehr katholisches Land, der Glaube wird intensiv ausgeübt. Die Städte zählen zahlreiche Kirchen. In Bussen, Läden und Wohnhäusern hängen Kreuze, Jesusbilder und Madonnenstatuen. An religiösen Festen wird nicht gearbeitet und es werden feierliche Zeremonien durchgeführt.

80 Prozent aller Kolumbianer sind Katholiken. Die restlichen 20 Prozent bilden Protestanten, Evangelisten, Freikirchen, Sekten, Rastafari sowie der Islam, das Judentum und indigene Religionen.

Die Kolumbianer lieben das Zusammensein im Familien- und Freundeskreis und das daraus resultierende gemeinsame Debattieren, Philosophieren und Feiern. Die Familie ist den Kolumbianern heilig. Doch der familiäre Zusammenhalt ist nicht nur da, um eine schöne Zeit zu verbringen, sondern auch ein Überlebensprinzip. Durch die ökonomische Härte des Alltags, äusserst dürftigen Sozialleistungen und so gut wie keinem Arbeitslosengeld sowie wenigen Alten- und Pflegeheimen, sind Familienmitglieder aufeinander angewiesen. In jungen Jahren eine eigene Wohnung zu beziehen, ist aus finanziellen Gründen eine Ausnahme. So leben oft drei Generationen im gleichen Haus.

Kolumbien ist eine präsidiale repräsentative demokratische Republik. Der im Frühjahr 2018 gewählte Präsident Iván Duqueist, ist Oberhaupt des Staates und der Regierung. Unter ihm stehen der Vizepräsident und die Versammlung der Minister. Das Land ist in 32 Provinzen aufgeteilt, welche von Gouverneuren repräsentiert werden.

Gezahlt wird in Pesos, 1 Franken sind zurzeit 3'325 Pesos.

Coinvertir: Kolumbien

Finanzen.ch: Währungsrechner: Schweizer Franken – Kolumbianischer Peso

I show you Colombia: Kolumbien Reisezeit

Kolumbien.de: Land & Leute

Specht, Martin, Ch. Links Verlag, Kolumbien ein Länderportrait, September 2018

Über Jenn

Jenn ist begeistert, voller Energie und Abenteuerlust und dauernd auf der Suche nach Neuem und Anderem weit weg der üblichen Konventionen. Sie hat ein Funkeln in den Augen, welches nie zu erlöschen scheint. Jenn liebt das Leben, die Menschen und Tiere, den Dschungel und das Meer, die Musik, das Tanzen und Singen. Sie ist Aktivistin und setzt sich gegen Korruption und Krieg, und für Frieden, Menschenrechte, Homosexuelle und Jugendliche ein. Jenn lässt sich von niemandem etwas sagen – Jenn macht das, was sie für richtig hält. Neben dem feurigen Temperament ist die junge Kolumbianerin nachdenklich, hat Fantasie, der keine Grenzen gesetzt werden können, schreibt poetische und philosophische Texte und ist eine begabte Zeichnerin und Köchin. Einer ihrer grossen Träume ist es ein Restaurant zu eröffnen, um die Menschen mit ihren Köstlichkeiten zu verwöhnen.

Vor rund 30 Jahren wurde sie in der Grossstadt Cali geboren. Es ist die Stadt der Rhythmen und des Tanzes. Obwohl Salsa ursprünglich nicht aus Kolumbien stammt, wird er in Kolumbien wie sonst nirgendwo zelebriert und das speziell in Cali. Die Stadt gilt sogar als Welthauptstadt des Salsa. Auch Jenns Hüften sind in Schwung, wenn von irgendwoher Musik ertönt und das tut es in Kolumbien beinahe immer.

Zusammen mit ihren Grosseltern, Eltern, Tanten, Onkel und Cousins ist sie in einem kleinen Bachsteinhaus mit Wellblechdach im Barrio Siloe aufgewachsen. Das Barrio Siloe ist ein Quartier im Südwesten Calis und gilt als äusserst arm und gefährlich. Es erinnert an eine brasilianische Favela. Überfälle, Morde und öffentliche Schiessereien zwischen Gangs sind an der Tagesordnung. Ohne einheimische Begleitung sollte man das Quartier nicht besuchen, sogar die Polizei fürchtet das Betreten. Die lokalen Zeitungen berichten immer wieder von toten Polizisten in Siloe.

«Wir waren 13 Leute, zum Teil auch mehr, die zusammen in dem Haus lebten. Als sie noch gelebt hatte, war meine Grossmutter das Zentrum der Familie. Sie hat immer für alle gekocht. Immer wieder waren auch die Leute der Strasse eingeladen. Meine Mutter hat uns verlassen als ich fünf Jahre alt war.

Als Kind war es zu gefährlich das Haus zu verlassen und darum haben meine Geschwister und ich immer im kleinen Innenhof hinter dem Haus gespielt. Dass das fröhliche Spiel immer wieder von Schüssen unterbrochen wurde, war Normalität.»

Studieren ist teuer und im Barrio Siloe ein seltenes Privileg. Als eine der wenigen ihres Quartiers hat Jenn ein Stipendium erhalten und die Universität besucht. Sie hat Politikwissenschaften und Journalismus studiert und später als Journalistin und für das Radio gearbeitet. Zusätzlich hat sie viele verschiedene NGOs mit ihrer Energie und Motivation etwas zu verändern unterstützt. Sie wohnt noch immer in der gleichen Strasse, in der sie aufgewachsen ist, seit kurzem in einer eigenen Wohnung.

Colombia Diversa: Inicio / Cifras-violencia / Nacional

Google Fusion Tables: Cali gangs

Google Fusion Tables: Cali Homicide rate per comuna

Der bewaffnete Konflikt

Fakten

Der bewaffnete Konflikt bringt seit mehr als fünf Jahrzehnten immenses Leid über Kolumbien. Dabei ist es vor allem ein Kampf um die Aufteilung von Land und das Erlangen politischer Macht. Der Kampf um die verschiedenen Territorien durchzog Kolumbiens Geschichte schon immer und war bereits nach der Unabhängigkeit von den spanischen Kolonialherren ein hitziger Streitgrund. Im Krieg der letzten 50 Jahre kämpften linksgerichtete Guerilla-Gruppen, rechtsgerichtete Paramilitärs, die Drogenmafia und das kolumbianische Militär gegeneinander. Leidtragende ist die Zivilbevölkerung.

Die Paramilitärs sind militärisch ausgerüstete Gruppen, welche nicht zur staatlichen Armee gehören. Sie kämpfen im Auftrag von Grossgrundbesitzern und Drogenbossen und werden von der kolumbianischen Armee geduldet und zum Teil sogar unterstützt.

Die Guerillas sind Rebellengruppen. Sie entstanden anfangs der 60er Jahre. Durch gewaltsamen Widerstand wollten sie soziale Missstände beheben und eine fairere Landverteilung erreichen. Doch der bewaffnete Konflikt war nicht der richtige Weg. Aus den marxistischen Ideologien entstand ein brutaler Krieg, in dem viel Blut vergossen wurde, sich die Ungleichheiten jedoch bis heute nicht verbesserten. Zu Beginn waren es vor allem Bauern, die um ihre Rechte kämpften. Im Lauf der Jahre, schlossen sich der Bewegung auch Studenten und Arbeiter an. Ihre Waffen finanzierte sich die Guerilla grösstenteils mit dem Drogenhandel, insbesondere mit Kokain. Zudem wurden Menschen entführt, um Lösegeld zu fordern. Tausende Minderjährige wurden von den Rebellengruppen zwangsrekrutiert.

Die FARC-Guerilla ist die älteste Guerilla Lateinamerikas und die grösste und bedeutendste im kolumbianischen Konflikt. FARC steht für «Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia», dies bedeutet «Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens». Die Gruppierung entstand um das Jahr 1964.

Die Zivilbevölkerung, vor allem unschuldige Kleinbauern, gerieten immer wieder zwischen die Fronten und wurden Opfer der grausamen Auseinandersetzungen. Sie erlitten Menschenrechtsverletzungen wie Morde, Entführungen und Vertreibungen. Über 6,2 Millionen Menschen mussten im Land selber flüchten. Nur Syrien hat mehr Binnenvertriebene. Im zehnjährigen Bürgerkrieg, als «La Violencia» bekannt, mussten 250'000 Menschen ihr Leben lassen. Wer sich dagegen wehrte, wurde bestraft. Im Jahr 2016 wurden 282 Menschenrechts-Aktivisten ermordet.

Der Friedensvertrag

Nach jahrelangen gescheiterten Versuchen einen Frieden zu schliessen, unterzeichnete im November 2016 die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla in Kuba einen Friedensvertrag. Präsident Santos erhielt für diesen Erfolg den Friedensnobelpreis. Die FARC willigte ein sich vom Kokainhandel zurückzuziehen. Daraufhin wurden zahlreiche Kokafeldern vernichtet.

Nach dem historischen Wendepunkt stellt die Eingliederung der Rebellen in das zivile Leben für Kolumbien eine grosse Herausforderung dar. Fast die Hälfte der FARC-Mitglieder verbrachte ihre Jugend und lange Zeit ihres Lebens in den Guerilla-Verbänden. Nun sollen sie Bildung nachholen und ihre Traumata müssen behandelt werden. Leider ist zu befürchten, dass sich viele dagegen wehren werden. Einige sind zu anderen Rebellenorganisationen wie der ELN oder zum Paramilitär übergegangen. Auch die Regierung handelte nicht immer sehr kooperativ. Die meisten Kolumbianer wünschen sich endlich Frieden. Die Zukunft wird zeigen, ob ihr Wunsch bald in Erfüllung gehen wird.

Jenns Perspektive

Jenn ist inmitten des Krieges geboren. Als Städterin hat sie ihn in ihrer Kindheit und Jugend jedoch nicht hautnah miterlebt.

«Als ich ein Kind war, wusste ich nicht was vor sich ging. Man hat mir nichts erzählt, ich wurde angelogen. Es sind die Familien in den ländlichen Regionen, die den bewaffneten Konflikt, das Problem der Guerillas und der Paramilitärs am eigenen Leib miterleben mussten. Das habe ich dann später im Fernseher gesehen.»

Jenn wollte nicht angelogen werden, sie wollte wissen was vor sich geht. Als Politikstudentin hatte sie sich dann intensiv mit dem Bürgerkrieg und der politischen Lage ihres Landes auseinandergesetzt.

«In meinem Land ist die Gewalt in vielen Formen präsent, physisch, psychisch und verbal. Einer der Hauptgründe der sozialen Konflikte ist die Eifersucht. Die Leute sind individualistisch und egoistisch. Wir schauen immer was die anderen haben, wollen das Gleiche und töten sogar dafür. Es geht um Macht und um die Aufteilung des Landes. Es geht darum, wer mehr Rohstoffe gewinnen und damit mehr Geld generieren kann. Es ist es ein Konflikt, in dem alle verlieren, die keine Hilfsmittel haben und in dem die gewinnen, die in den Krieg investieren.»

Wird der Krieg ein Ende nehmen? Jenn ist auch nach dem Friedensvertrag nicht sehr überzeugt davon. Die Gefahr liegt ihrer Meinung nach darin, dass die Menschen zu wenig Bildung und Wissen haben, um korrekt über den Konflikt reflektieren zu können.

«Es gibt eine grosse Ignoranz und eine unglaubliche Lücke an Bildung. Die Leute lesen nicht, die Leute fragen nicht nach. Sie glauben, was man ihnen sagt. Sie schaffen es nicht einen guten Präsidenten zu wählen. Der Präsident, den wir jetzt haben, wird wieder mehr in den Krieg investieren. Die liberalen und linken Parteien wollen wirklich eine Veränderung – ein Kolumbien ohne Krieg und Armee. Die Befürworter des Staates denken leider das Gegenteil.»

Das Politikstudium hat Jenn viel gelehrt, jedoch nicht unbedingt motiviert.

«Es war lehrreich, aber frustrierend. Du weisst alles, aber kannst trotzdem nicht viel dagegen machen. Es ist eine Illusion, dass wir die Welt verändern können. Aber ich glaube es gibt gute Menschen. Wir könnten uns kennenlernen und zusammen ein bisschen träumen.»

Jenn hatte sich politisch engagiert. Doch sie verlor den Glauben an eine bessere Welt und die Motivation etwas verändern zu können immer wieder. Unzählige Male musste sie erfahren, dass sie zu klein ist und nicht die nötigen Mittel hat, um etwas beeinflussen zu können. So schwankt sie zwischen dem Drang etwas zu verändern und der Hoffnungslosigkeit, dass ihr Bemühen etwas bewirkt. Trotzdem hat sie nicht vollkommen resigniert.

«Die Hoffnung steckt in den Kindern. Wenn man die Kinder motiviert zu singen, zeichnen oder Sport zu treiben, und sie mit diesen Leidenschaften aufwachsen, werden sie das immer gerne tun. Wenn ein Kind jedoch Spielzeugwaffen und Pfeilbögen bekommt, möchte es später als Erwachsene eine echte Waffe.»

Darum fordert Jenn mehr Kreativität, Bewegung und Austausch für die Kinder. Sie organisiert Frisbee-Turniere unter dem Namen «Weniger Waffen und mehr Sport» und hilft bei Projekten mit, in denen Kindern Hip-Hop und die Kunst der Graffitis nähergebracht werden.

Armut

Fakten

Kolumbien ist ein Land reich an Ressourcen. Erdöl, Erdgas, Steinkohle und andere Bodenschätze wie Gold und Smaragde sowie Kaffee und exotische Früchte gehören zu seiner Palette an Reichtümern. Zudem ist das Land im Zentrum Amerikas, mit einer Vielzahl an Handelswegen und mit Anschluss an drei Meere, äusserst gut gelegen. Leider haben die bewaffneten Konflikte, Vetternwirtschaft, Korruption und Kriminalität dem wirtschaftlichen Wachstum des Landes immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Armutsquote

Die Armutsquote des Landes ist seit 2002 jährlich um 3,2 Prozent gesunken. Trotzdem leben noch immer 14,5 Millionen Kolumbianer und Kolumbianerinnen unter der Armutsgrenze des Landes. Das heisst, sie müssen mit 88 Dollar pro Monat auskommen. Die grösste Armut wurde in den ländlichen Gebieten registriert.

Ungleichheit

Die Wirtschaft ist in den letzten Jahren zwar gewachsen, doch der neue Wohlstand erreicht nur wenige Menschen. Kolumbien hat eine schmale Mittelschicht, den Rest bilden Arme und Reiche. Nach Brasilien ist Kolumbiens Einkommensverteilung die ungleichste Lateinamerikas und somit eine der ungleichsten der Welt. 2017 gehörte den drei reichsten Kolumbianern mehr als zehn Prozent des Wirtschaftsertrages des Landes. Den am besten Verdienenden zehn Prozent der Bevölkerung, gehört vierzig Prozent des erwirtschafteten Wohlstandes.

Kindersterblichkeit

Die Armut und der fehlende Zugang zu medizinischer Versorgung waren 2017 für den Tod von 773 Kinder verantwortlich. Bei der Mehrheit der Fälle war Unterernährung der Grund für den tragischen Tod.

Jenns Perspektive

Jenn ist mit wenig Geld aufgewachsen und hat noch immer nicht viel. Reisen, auswärts essen oder neue Kleider sind für sie eine Seltenheit.

«Vielleicht hat sich die Situation in den letzten Jahren geändert – aber nicht genug. In den Metropolen sieht man, dass es vermehrt modernere Gebäude gibt. Hier geht es uns gut, wir haben genügend Essen. Hier haben wir mehr Probleme mit Gewalt und Drogen. Aber auf dem Land ist die ökonomische Lage der Leute prekär. Sie haben keine Universitäten, Spitäler und kulturelle Zentren. Den Menschen vom Land ist es in der kolumbianischen Geschichte sowieso immer schlechter gegangen. Immer wieder wurden sie attackiert und vertrieben. Das Geld ist total ungleich verteilt und wird einfach falsch eingesetzt: in Krieg anstatt in Bildung.»

Jenn hatte als Kind das Glück, im Gegensatz zu ihren Geschwistern und Cousins, an einem sozialen Programm teilnehmen zu können, in dem sie einen Paten hatte. Der Pate ermöglichte ihr an verschiedenen Freizeitaktivitäten teilzunehmen.

«Es war genial! Es war eine Art Tor zur Welt. Es zeigte mir, dass es mehr gibt als nur den kleinen Innenhof, in dem wir spielten und hat die Neugier in mir geweckt. Ich habe mir Bücher gekauft, viel gelesen und schlussendlich studiert. Doch bei vielen Jugendlichen in Siloe, ist das anders. Gäbe man ihnen 20 Pesos, würden sie sich etwas zu essen kaufen und kein Buch. Sie verlassen nur selten ihr Quartier. Sie haben keine Lebenspläne und Perspektiven. Sie finden keine Arbeit auf dem gewöhnlichen Arbeitsmarkt, so dass sie ihr Geld oft illegal verdienen.

Motorräder, Waffen und Geld sind Statussymbole. Häufig werden die Jugendlichen manipuliert. Sie schliessen sich in ihrer Hoffnungslosigkeit kriminellen Banden oder dem Paramilitär an, um im Gegenzug die gewünschten Statussymbole zu erhalten. Dafür führen sie in jungen Jahren bereits Gewaltdelikte aus.»

Jenn ist ratlos und starrt ins Leere.

«Ich weiss nicht was wir machen können. Ich weiss nicht wie man ein solch korruptes Land retten kann. Ich hoffe, dass jemand kommt und all die schlechten Leute einfach wegfegt. Manchmal gehen die Leute auf die Strasse und protestieren gegen die Ungleichheit an. Doch es braucht alle, um etwas zu bewirken. Viele Menschen nehmen nicht teil, weil sie Angst haben dadurch ihre Jobs zu verlieren.»

Aktuell repariert Jenn Computer und verdient immer mal wieder etwas mit ihrer Malerei. Zusammen macht das durchschnittlich 450’000 Pesos im Monat – das sind 140 Schweizer Franken. Sie hat nicht viel Geld, aber trotzdem ist sie immer aufgestellt. Dasselbe scheint für die anderen Bewohner von Siloe zu gelten.

«Klar gibt es Armut, Gewalt und Kriminalität. Doch den Leuten geht es gut. Armut ist relativ. Uns fehlt es an nichts.»

Von überall dröhnt rhythmische, fröhliche Musik aus den heruntergekommenen Häusern auf die belebten Strassen. Die Leute lachen und tanzen. Es ist immer etwas los. Sie sitzen in Plastikstühlen vor ihren kleinen Hütten und diskutieren friedlich miteinander. Ohne zu überlegen würden sie dich zu sich einladen und dir mit Freude Queso, Reis, einen frischen Fruchtsaft oder ein Bier servieren.

«Es sind alles liebenswerte Leute, auch wenn einige sehr schlechte Sachen gemacht haben.»

Während Jenn von Gewalt und Morden erzählt, wird sie manchmal ernst und bekommt wässrige Augen. Trotzdem lacht sie immer wieder und blödelt herum. Dieser Mix zwischen Tragödien und gleichzeitig omnipräsenter Fröhlichkeit, kann manchem Europäer unverständlich erscheinen.

«Es könnte sein, dass die Zeit der Sklaverei unseren Umgang mit dem Leben geprägt hat. Die Sklaven sind miserabel behandelt worden. Einen Tag in der Woche haben sie frei gehabt. Dann sind sie raus gegangen und haben Musik gemacht. Es kommt im Leben nicht auf das Schlechte an, sondern dass man immer wieder Zeit findet um zu feiern und glücklich zu sein. Wir schätzen das Gute: Das Essen, die Trommeln, die Cumbia.»

Knoema.de: Kolumbien – Armutsgrenze

Kolumbien.de: Kolumbien: Wirtschaft & Handel

The World Bank: LAC Equity Lab: Income Inequality – Income Distribution

The World Bank: LAC Equity Lab: Income Inequality – Urban/Rural Inequality

The World Bank: Life expectancy at birth, total (years)

The World Bank: GDP (current US$)

The World Bank: GINI index (World Bank estimate)

Specht, Martin, Ch. Links Verlag, Kolumbien ein Länderportrait, September 2018

Zeit.de: Kolumbien nach dem Koks

Die LGBT-Gemeinschaft

Fakten

Obwohl Lateinamerika lange zu den schwulen- und lesbenfeindlichsten Regionen der Welt zählte, gehört es heute, was Rechte sexueller Minderheiten betrifft, zu den weltweit fortschrittlichsten Regionen. An der Spitze mit dabei: Kolumbien. Im Jahr 2000 registrierte Kolumbien, als erstes lateinamerikanisches Land, die Beziehung eines gleichgeschlechtlichen Paares standesamtlich. 2015 wurde die Adoption, ein Jahr später die Ehe für homosexuelle Paare rechtlich genehmigt. Dies ist in der Schweiz und in vielen europäischen Ländern auch heute noch nicht erlaubt.

Die Realität hinkt Gesetzen hinterher

Doch obwohl die kolumbianischen Gesetze bezüglich Homosexualität äusserst progressiv sind, hinkt die Realität hinterher. Die Mehrheit der Kolumbianer und Kolumbianerinnen ist gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und Homophobie ist noch immer weitverbreitet. Die gelebte Machokultur sowie konservative Bewegungen stehen der LGBT-Szene im Weg. Auch die katholische Kirche und verschiedene evangelische Freikirchen wehren sich vehement gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. In Teilen der grossen Metropolen wird die Szene akzeptiert und auch impulsiv ausgelebt. Ausserhalb der urbanen Zentren haben jedoch viele der LGBT-Community noch immer einen schweren Stand. Dazu gehören Diskriminierung, Ausgrenzung vom familiären und professionellen Umfeld, brutale Übergriffe bis zu Morden. Während die allgemeine Mordrate des Landes gesunken ist, blieb die Anzahl Morde an Personen der LGBT-Gemeinschaft hoch. Letztes Jahr wurden 109 Morde an homo-, bi- sowie transsexuellen Personen registriert.

Wahl von Duque schlägt Alarm

Als Iván Duque im Sommer zum Präsidenten gewählt wurde, versprach er, dass er keine der neuen Freiheiten, die in den letzten Jahren gesetzlich festgelegt worden waren, rückgängig gemachen würde. Trotzdem schlug die Wahl des neuen Präsidenten bei der LGBT-Gemeinschaft Alarm. Denn der Präsident wird von den Konservativen sowie der Kirche unterstützt – dezidierte Gegner der LGBT-Szene.

LGBT = Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender

Jenns Perspektive

Jenn würde gerne heiraten. Am liebsten im Dschungel. Sie möchte einen Mann und eine Frau heiraten. Es soll ein Eingang geben mit Lichtern und Blumen. Dort küssen sich dann alle. Mit ihren Ehegatten möchte sie dann ein Kind adoptieren, welches zwei Mütter und ein Vater hat.

Jenn ist ein leidenschaftlicher Mensch und ist allerlei Beziehungen eingegangen, mit Männern, Frauen oder beidem. «Was bist du eigentlich? Bi-sexuell? Lesbisch?» Jenn schaut lange und lacht.

«Ich will mir keinen Stempel aufdrücken lassen. Ich liebe alle! Alle sind super! Ich will mich nicht definieren. Ich will alles erkunden und ausprobieren. Es geht darum, dass du dich gut fühlst, ob mit einer Frau, einem Mann oder einem Transgender ist egal.

Meine Familie findet das Ausleben meiner Sexualität nicht super, aber toleriert es. Es ist ihnen wichtiger wer ich bin und was ich mache. Doch in meinem Land gibt es viel Homophobie, vor allem in ländlichen Regionen. Dort werden Homosexuelle gefoltert.

Ich habe Freunde, welche auf Grund ihrer Sexualität umgebracht wurden. Es ist sieben Jahre her, da ist eine paramilitärische Bande bei einem meiner Freunde eingebrochen. Er lag im Bett. Sie haben mit einem Baseballschläger so lange auf ihn eingeschlagen bis er tot war. Manchmal habe ich Angst, dass mir etwas angetan wird. Ich passe auf wo ich mich aufhalte und mit wem ich rede.»

Jenn kämpft für gleiche Rechte für alle. Sie nimmt an Demonstrationen teil und unterstützt seit mehreren Jahren verschieden Organisationen und Projekte, die sich für die sexuelle Freiheit einsetzen. Jenn träumt gerne und gross. Es ist ihr tiefster Traum, dass alle machen können was sie wollen.

«Jeder soll so sein können, wie er will. Es soll dafür keine Grenzen und Limitationen geben. Es solle keine Diskriminierung geben. Wir sind alle gleich.»