HEIMATORT
Die irrtümliche Heimat

Einleitung

Jede/r hat mindestens einen davon und schreibt ihn immer wieder nieder, den Heimatort. Als mich jemand darauf ansprach, was eigentlich Heimatort genau bedeutet, wusste ich keine Antwort. Denn es ist nicht mein Geburtsort, aber auch nicht mein Wohnort. Ich bin nicht dort aufgewachsen, geschweige war ich schon mal da. Also was ist es dann, ausser einem Ort, den ich überall vermerken muss?
Sicherlich bin ich nicht die Einzige, die sich noch nie mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Ich beschloss mich auf die Suche nach den Antworten zu machen und habe dabei Erstaunliches herausgefunden. Unter anderem weshalb wir eben jenen Heimatort vermissen würden, hätten wir ihn nicht mehr. Aufgeteilt in einige Fragenabschnitte, habe ich meine recherchierten Antworten aufgeführt. Ich wünsche viel Spass beim Lesen und entdecken!

Woher kommt das Wort "Heimatort" ursprünglich?

Vor allem wollte ich wissen, woher das Wort den ursprünglich stammt. Schliesslich wird der Heimatort von Generation zu Generation weitergegeben und das nicht erst seit gestern. Während meinen Recherchen bin ich dann in den Texten zum Begriff Heimatort vermehrt auf das Wort Bürgerort gestossen. Ich versuchte den Unterschied herauszufinden, aber irgendwie erkannte ich den nicht wirklich.
Am schwersten jedoch war es Dokumente zu finden, die die Geschichte und Herkunft dieses Wortes (oder Begriffes) aufzeigten. Bei meiner Suche bin ich glücklicherweise auf den Lokalhistoriker und Familienforscher Hans Minder gestossen und habe mich mit ihm zusammengesetzt. Von ihm erhoffte ich mir ein paar Antworten. Wie sich im Verlauf des Gesprächs herausstellte, landete ich mit ihm einen Glückstreffer. Sein Interesse an der Geschichte im Allgemeinen entdeckte er bereits in jungen Jahren und seit her beschäftigt er sich intensiv damit.
Als erstes wollte ich wissen, woher das Wort Heimatort stammt und was für eine Bedeutung es wirklich hat? Denn irgendwie bekam ich nach all meinen Recherchen langsam das Gefühl, dass diesem Wort heute gar nicht mehr die gleiche Bedeutung beigemessen wird wie früher.

Irgendwie war ich irritiert, denn das würde bedeuten, dass mir seit meiner Kindheit eine irrtümliche Version des Bürgerortes erzählt wurde. Ich hackte nach, ob es den gar nichts mit dem Ursprung einer Familie zu tun hat.

Irgendwie fühle ich mich betrogen und gleichzeitig aufgeklärt. Obwohl mir immer etwas anderes erzählt wurde, muss ich feststellen, dass dieser Irrtum schon länger besteht. Zudem hätte ich mich früher schon mit der Tatsache beschäftigen können, woher dieses Wort und somit ich komme. Und schon bin ich wieder bei der Familienforschung gelandet.

Was darf ich, wenn ich heimatberechtigt bin?

Diese Frage habe ich mir ebenfalls oft gestellt. Diese Heimatberechtigung klingt nach einem grossen Privileg, also müsste ich doch etwas damit machen können, oder nicht? Ich versuchte in all den Seiten, die ich gefunden habe, etwas zu entdecken, dass mir eine Antwort gibt. Jedoch fand ich nichts wirklich Klares. Jedes Mal, wenn ich dachte, ich hätte es endlich herausgefunden, wurde ich entweder wieder weitergeleitet oder es kam noch etwas anderes dazu.

Also habe ich mir die Frage notiert, damit ich sie Hans Minder stellen kann. Er gab mir in unserem Gespräch eine klare Antwort.

Ich bin also nur heimatberechtigt, weil ich einen Bürgerort besitze und ich danach damit Familienforschung betreiben kann. Was bedeutet, dass ich heimatberechtigt nur in diesem Zusammenhang verwenden kann und keine weitere Bedeutung hat. Irgendwie schade, aber so ist die Tatsache.

Wie ist es heute?

Inzwischen ist mir klar, dass die heutige Bedeutung des Bürgerortes nichts mehr mit dem Ursprung zu tun hat. Doch wie ist es denn heute? Was für eine Funktion hat der Bürgerort/Heimatort noch? Herr Minder beantwortete mir die Frage ebenfalls, wenn auch nicht so ausführlich.

Zusätzlich habe ich versucht herauszufinden, ob es irgendwelche Dokumente und Statistiken gibt, die aufzeigen, wofür der Bürgerort heute noch gebraucht wird, ausser in der Familienforschung. Doch in der Tat gibt es heute nur noch diese beiden Funktionen, dass wir mit dem Heimatort Familienforschung betreiben und wir ihn nach wie vor auf allen amtlichen Dokumenten notieren.

Allerdings gibt es eine Statistik, die die Bürgerorte der Schweizer festhält. Durch verschiedene nicht veränderbare Faktoren und Einflüsse sind diese Statistiken jedoch nicht absolut vollständig und genau. Einerseits entstehen die Statistiken durch die Volkszählung, welche nur alle 10 Jahre durchgeführt wird. Zudem verändern Faktoren wie, dass die Frau nach der Heirat den Bürgerort des Ehepartners übernimmt, die Statistik. Früher hatte sie nur noch den ihres Mannes, heute darf sie ihren ursprünglichen Bürgerort behalten und verfügt deswegen über zwei. Ausserdem kann man/frau sich einbürgern lassen und somit erwirbt man sich einen weiteren Bürgerort.

So ergibt sich eine Statistik, die zwar die Bürgerorte auflistet, jedoch kann es sein, dass in dieser Zählung der ursprüngliche Bürgerort nicht an erster Stelle genannt wird. Und zu guter Letzt sind von den ca. 8 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen etwa 2 Millionen Ausländer/-innen, welche oft ihren ausländischen Bürgerort angeben. Nichts destotrotz sind die Zahlen beeindruckend.

Statistik Heimatort

Diese Infografik zeigt 10 der grössten Differenzen zwischen Heimatorten und der Einwohnerzahl in der jeweiligen Gemeinde (Stand 31.12.2017). (Quelle: bfs.ch)
(Zu Beachten ist, dass heimatberechtigte Personen nicht zwangsläufig auch wohnhaft sind an ihrem Heimatort.)

Welche Bedeutung hat der Heimatort für die Leute?

Während all den Recherchen taucht immer wieder die Frage auf: "Welche Bedeutung hat der Bürgerort eigentlich noch?" Das ist eine gute Frage, denn der Bürgerort ist doch längst veraltet, oder nicht? Ich habe mich damit befasst und in meinem Umfeld einige Leute dazu befragt. Die Antworten waren ganz unterschiedlich und teils auch überraschend. Ich wollte wissen, wie fühlt sich Frau Schweizerin und Herr Schweizer, wenn man sie nach dem Bürgerort/Heimatort befragt. Was bedeutet ihnen dieses Wort?

Patrick Gerber, 28, Heimatort: Langanu im Emmental

Heinz Egli, 42, Heimatort: Schangnau

S.V., Heimatort: Tafers und Heitenried
(S.V. war es nicht recht gefilmt zu werden. Sie stimmte einem Interview dann doch zu, sofern sie unerkenntlich gemacht wird.)

Der Bürgerort hat mehr Bedeutung für Herrn und Frau Schweizer als gedacht. Und das obwohl mir keiner von ihnen erklären konnte, woher das Wort ursprünglich stammt. Das zeigt mir, dass unsere Gesellschaft sehr mit ihren Traditionen verbunden ist. Eigentlich fasst es sich folgendermassen recht gut zusammen: «Tradition; es ist halt so und es ist seit über zwei Jahrhunderten so. Weshalb sollte man also etwas ändern?»

Was wäre, wenn er nicht mehr existieren würde?

Genau mit dieser Frage habe ich mich als nächstes beschäftigt. Der Bürgerort wird auf jedem offiziellen Dokument benötigt und manchmal auch anderswo. Allerdings sind wir weltweit das einzige Land, das einen Heimatort hat. Naja, neben dem Fürstentum Lichtenstein natürlich. Weshalb wurde er also nicht schon längst abgeschafft? Dies hat sicher verschiedene Gründe, dachte ich mir. Ich wurde eines Besseren belehrt.

Die Regierungen sindoft ein Grund, weshalb sich Dinge nicht wirklich verändern. Doch sieht es Herr und Frau Schweizer gleich? Würde ihnen etwas fehlen, wenn die Tradition weg ist?

Patrick Gerber, 28, Heimatort: Langanu im Emmental

Heinz Egli, 42, Heimatort: Schangnau

S.V., Heimatort: Tafers und Heitenried

Ich stelle fest, das Mysterium Heimatort/Bürgerort ist grösser als angenommen. Die Verankerung des Bürgerortes liegt viel tiefer und weiter zurück als ich eigentlich dachte. Zugegebenermassen, obwohl ich bis heute nicht genau erklären kann, weshalb ich einen Bürgerort notiere, dessen ursprüngliche Bedeutung ich nicht kenne, würde er mir fehlen, gäbe es ihn nicht mehr. Wer weiss, vielleicht kommt irgendwann die Zeit, wo die Schweiz in eine Identitätskrise verfällt, weil die Verfassung erneuert wird und wir unseren Bürgerort nicht mehr notieren bzw. angeben.

Und woher kommst DU?