Für Bestatter ist der Tod etwas Alltägliches. Seit drei Jahren holt David Naef Verstorbene ab, macht sie zurecht und begleitet sie auf ihrem letzten Weg.
Wie viele Tote hast Du in deinem Leben schon gesehen? Wenn ich die ganzen Leichen aus den Krimis und Filmen mitzählen würde, wären es dutzende, hunderte. In der Realität sind es zwei, beide bei einer Aufbahrung in einem sterilen Raum. Vielleicht hätte ich im Nachhinein gerne auf dieses letzte Bild einer geliebten Person verzichtet. Vielleicht hätte ich mir aber auch bis zum Ende vorgeworfen, mich nicht richtig verabschiedet zu haben. Bis heute Abend werde ich noch mehr Tote sehen.«Es regnet. Plötzlich sitze ich mit David im Leichenwagen. Unerwartet für mich, für ihn ein alltäglicher Einsatz. Wir fahren in ein Dorf, nicht weit weg von Chur. Vorher habe ich David noch geholfen einen Sarg hinten einzuladen. Mir ist mulmig. Einerseits, weil ich nicht genau weiss, was mich nun erwartet. Andererseits, weil ich nicht genau einschätzen kann, wie ich mich in der ganzen Situation verhalten werde. Ich weiss, dass eine ältere Frau in der Nacht zuvor verstorben ist. Im Gegensatz zu mir ist David ganz gelassen. Er beruhigt mich und erklärt mir, dass ich keine Angst haben muss und dass ich später in der ganzen Situation so konzentriert sein werde, dass alle anderen Gedanken verschwinden.
Wir kommen in der Wohnung der verstorbenen Frau an. Sie war etwa 70-jährig. Ihre erwachsenen Kinder sind bereits in ihrer Wohnung versammelt und schreiben gerade die Todesanzeige. Wir betreten die Wohnung, ziehen unsere Schuhe aus und sprechen allen Angehörigen unser Beileid aus. Danach nehmen wir am runden Tisch im Wohnzimmer Platz und David übernimmt das Zepter. Zuerst erledigen sie den Papierkram, danach würden er und ich uns um den Rest (die Leiche) kümmern. Die Angehörigen wünschen, dass die Verstorbene weitere 24 Stunden zur Aufbahrung zu Hause bleibt. David notiert sich das Datum, wann er sie abholen soll und sie besprechen das weitere Vorgehen: die Übernahme ins Krematorium, die Auswahl der Urne, etc.
Zu meiner Überraschung ist die ganze Situation nicht so, wie ich sie mir vorgestellt habe. Ich weiss zwar nicht genau, was ich alles erwartet habe, aber ich rechnete mit vielen Tränen und einer traurigen Stimmung. Doch nun sitzen wir alle hier am runden Tisch und ich sehe alles andere als das. Ich sehe, wie sie sich alle engagieren, um ihrer Mutter die letzte Ehre zu erweisen. Und das empfinde ich als etwas sehr Schönes. Ich spüre bei den Angehörigen eine gewisse Unsicherheit (oder vielleicht war es auch mehr eine Überforderung?). Sie stellen David viele Fragen, was das weitere Vorgehen angeht. David ist in meinen Augen in der ganzen Situation eine sehr ruhige, professionelle und empathische Stütze. Jetzt erst verstehe ich, was er meint, als er sagte, dass er seinen Beruf macht, weil er Menschen gerne hilft (siehe Interview).
Nach etwa 15 bis 20 Minuten haben wir den Papierkram erledigt. Wir werden ins Zimmer, in dem die verstorbene Frau liegt, geführt. Das Zimmer ist klein und hölzern eingerichtet. In der Ecke ist das Bett, darin liegt die verstorbene Frau. Neben dem Bett ist eine kleine, hölzerne Kommode, auf der Blumen, ein Foto der Frau aus jüngeren Zeiten, Kerzen und eine Zeichnung, die wahrscheinlich eines ihrer Enkelkinder gemalt hat, zu sehen sind. Ich betrachte die Leiche und zu meiner Überraschung, reagiere ich gar nicht gross auf sie.
Es ist, wie es David vorhin im Auto gesagt hat. Ich bin ruhig und konzentriert, weil ich weiss, dass ich jetzt selbst Hand anlegen muss. David steht vors Bett und hält einen kurzen Moment inne. «Sie sieht sehr friedlich aus», meint er. (Zu meinem Glück) stellen wir dann fest, dass die Frau bereits eingekleidet ist. (David hat nämlich gemeint, dass es durchaus sein kann, dass wir sie noch umziehen müssen.) Wir klären zuerst mit dem Sohn ab, wo wir den Sarg platzieren sollen. Er verlässt nun das Zimmer und wir beginnen mit der Arbeit. Das Bett schieben wir auf die andere Seite des Zimmers. Wir laufen zum Auto, um den Sarg zu holen. Diesen transportieren wir durchs Fenster ins Zimmer (das ist natürlich mit den Angehörigen im Vorfeld so abgesprochen worden). Den Sarg stellen wir neben das Bett. Nun müssen wir sie noch in den Sarg einbetten: David hält ihren Oberkörper während ich meine Arme unter ihre Beine schiebe. Sie fühlen sich ganz steif und ungewohnt an.
Wir heben sie an und legen sie vorsichtig in den Sarg. David platziert sie so, dass sie ganz entspannt und bequem daliegt. Mir fällt auf, dass ihre Augen einen kleinen Spalt offenstehen und ich weise David darauf hin. Er schliesst ihr die Augen. Aus dem Koffer, den er vorhin aus dem Auto mitgenommen hat, packt er Trockenshampoo und einen Kamm aus. Er macht ihr die Haare zurecht. Wir räumen noch alles an seinen Platz zurück und putzen einige Schmutzflecken, die wir vom Regen von draussen mit reingenommen haben, weg. David holt einen der Angehörigen ins Zimmer und fragt noch, ob die Haare so okay seien. «Sehr schön, haben Sie das gemacht. Haben Sie vielen Dank», kommt als Rückmeldung. Wir verabschieden uns von allen und fahren zurück ins Büro.»
Wie es in einem Bestattungsunternehmen aussieht, liest Du hier.