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Das Business mit dem Tod

Einen Tag beim Bestatter

Wie Bestatter Verstorbene an ihre letzte Ruhestätte bringen

Für Bestatter ist der Tod etwas Alltägliches. Seit drei Jahren holt David Naef Verstorbene ab, macht sie zurecht und begleitet sie auf ihrem letzten Weg.

Wie viele Tote hast Du in deinem Leben schon gesehen? Wenn ich die ganzen Leichen aus den Krimis und Filmen mitzählen würde, wären es dutzende, hunderte. In der Realität sind es zwei, beide bei einer Aufbahrung in einem sterilen Raum. Vielleicht hätte ich im Nachhinein gerne auf dieses letzte Bild einer geliebten Person verzichtet. Vielleicht hätte ich mir aber auch bis zum Ende vorgeworfen, mich nicht richtig verabschiedet zu haben. Bis heute Abend werde ich noch mehr Tote sehen.

David Naef erwartet mich schon in seinem Bestattungsunternehmen am Arcas. Er ist jünger als ich gedacht habe. Mit 33 Jahren gehöre er zu den jüngeren Bestatter in der Schweiz. Zu meiner Verwunderung ist er auch nicht schwarz angezogen. Ich habe gedacht, das ist ein Muss? «Ich versuche möglichst immer, nicht schwarz gekleidet zu sein.» Er trägt einen blauen, gemusterten Anzug und ein weisses Hemd.

Zu Beginn kann ich mir schwer vorstellen, wieso jemand freiwillig Bestatter ist. Seit Januar ist er Geschäftsführer der Caprez Bestattungen. Wir dürfen ihn und seinen Angestellten Beat Sacchet heute begleiten. Sie sind heute zu zweit im Einsatz. Es ist 8 Uhr. Doch bevor gearbeitet wird: Kaffee. Die Stimmung ist locker.

Anschliessend besprechen sie den Tagesablauf und koordinieren die Arbeiten, die planbar sind. Heute steht ein vermeintlich ruhiger Tag an. Drei Termine sind bereits fix: Kreuz ausliefern, Abholung Urne und Beratungsgespräch. Die Bestatter sind rund um die Uhr erreichbar. Jeweils ein Mitarbeiter steht auf Abruf bereit. Das gehöre zum Job dazu. Vor allem wenn die Polizei anruft, müssen es schnell gehen. Unfall, Suizid, Gewaltverbrechen. Dann müssen die Bestatter in einer halben Stunde vor Ort sein.
Zusammen mit Beat rücken wir aus. Es ist kein Leichenwagen, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Mit dem Bus bringen wir ein Kreuz zu einer Aufbahrung in Zizers. Während der Fahrt erzählt er, dass er seit sechs Jahren Bestatter ist. Davor hat er in der Pflege gearbeitet. Er ist 34 Jahre alt, Vater einer Tochter und wohnt in Chur. Beat ist der Mann fürs Grobe. Er meldet sich, wenn die «harten» Fälle anstehen. Denn auch in Chur gibt es Crime wie im Fernsehen. Nur stehe das hier nicht auf der Tagesordnung. «Aber auch hier werden Menschen erschossen oder abgestochen.» Für ihn ist es eine Abwechslung. Circa 90 Prozent der Verstorbenen holen sie in Altersheimen ab.

In Zizers angekommen geht er in den Aufbahrungssaal und schliesst dort den Sarg. Er trifft auf die Angehörigen, bekundet seine Anteilnahme. Er soll dem Verstorbenen noch eine Kappe anziehen. Diese habe er zu Lebzeiten immer angehabt. Nach zehn Minuten steigt er wieder in den Bus. Sein Verhalten wechselt mit dem Knall der Autotür, als wir weiterfahren. Er ist gut gelaunt, macht Witze. Ich bin erleichtert, dass sich diese Totenstimmung nicht über den ganzen Tag hält. Sie beschränkt sich auf den Kontakt mit den Angehörigen.

Wir fahren ins Krematorium, liebevoll «Kremi» genannt. Beat muss Dokumente abgeben. Ich war noch nie in einem Krematorium. Es riecht nach Holz und Altersheim, vielleicht bilde ich mir das Letztere auch nur ein. Im gekühlten Vorraum warten neun Särge auf den Ofen. Beim Verbrennungsofen sind es weitere fünf. Dort treffe ich auf Ralph Hotz. Er ist der «Kremateur» von Chur und ist für den Betrieb der Anlage verantwortlich. Hier können bis zu drei Leichen gleichzeitig kremiert werden. Pro Jahr sind das ungefähr 1800 Kremationen.
Beat und Ralph scheinen sich gut zu kennen. Sie stehen zwischen den Särgen. Auf jedem Sarg steht eine Urne. «Was soll ich mit diesem Stein machen?», fragt Ralph. Beat schmunzelt. Er erkennt den ausgehölten Stein wieder. Solche Urnen verkaufen sie auch in ihrem Geschäft. Er gibt Ralph die Dokumente und verabschiedet sich.

Wir gehen raus. Auf dem Weg zeigt uns Beat den Tiefkühler. Hier können Leichen mehrere Tage liegen bleiben. Er öffnet ihn. Heute liegt niemand darin. Trotzdem steigt ein unbeschreiblich hässlicher Geruch in meine Nase. Ist das Leichengeruch? Beat nickt und lacht. Ihm scheint das Ganze nichts mehr auszumachen. Mir wird übel. Es ist ein beissender Geruch. Wir verlassen das «Kremi».

Beat isst Zuhause. Wir treffen uns nach dem Mittag wieder und bereiten ein Beratungsgespräch vor. Er muss mit den Angehörigen jetzt die offenen Fragen klären: Gibt es eine Erdbestattung oder eine Kremation? Welche Urne soll es sein? Soll das Glöcklein auf dem Friedhof bei der Feier klingeln oder nicht? Ziemlich viel, was auf die Angehörigen zukommt. Der Bestatter soll ihnen den Grossteil der Arbeiten abnehmen.

Während des Beratungsgespräch, klingelt das Telefon. Anscheinend ist jemand in der Nacht zuvor verstorben David rückt aus. Maja begleitet ihn dabei:

«Es regnet. Plötzlich sitze ich mit David im Leichenwagen. Unerwartet für mich, für ihn ein alltäglicher Einsatz. Wir fahren in ein Dorf, nicht weit weg von Chur. Vorher habe ich David noch geholfen einen Sarg hinten einzuladen. Mir ist mulmig. Einerseits, weil ich nicht genau weiss, was mich nun erwartet. Andererseits, weil ich nicht genau einschätzen kann, wie ich mich in der ganzen Situation verhalten werde. Ich weiss, dass eine ältere Frau in der Nacht zuvor verstorben ist. Im Gegensatz zu mir ist David ganz gelassen. Er beruhigt mich und erklärt mir, dass ich keine Angst haben muss und dass ich später in der ganzen Situation so konzentriert sein werde, dass alle anderen Gedanken verschwinden.

Wir kommen in der Wohnung der verstorbenen Frau an. Sie war etwa 70-jährig. Ihre erwachsenen Kinder sind bereits in ihrer Wohnung versammelt und schreiben gerade die Todesanzeige. Wir betreten die Wohnung, ziehen unsere Schuhe aus und sprechen allen Angehörigen unser Beileid aus. Danach nehmen wir am runden Tisch im Wohnzimmer Platz und David übernimmt das Zepter. Zuerst erledigen sie den Papierkram, danach würden er und ich uns um den Rest (die Leiche) kümmern. Die Angehörigen wünschen, dass die Verstorbene weitere 24 Stunden zur Aufbahrung zu Hause bleibt. David notiert sich das Datum, wann er sie abholen soll und sie besprechen das weitere Vorgehen: die Übernahme ins Krematorium, die Auswahl der Urne, etc.

Zu meiner Überraschung ist die ganze Situation nicht so, wie ich sie mir vorgestellt habe. Ich weiss zwar nicht genau, was ich alles erwartet habe, aber ich rechnete mit vielen Tränen und einer traurigen Stimmung. Doch nun sitzen wir alle hier am runden Tisch und ich sehe alles andere als das. Ich sehe, wie sie sich alle engagieren, um ihrer Mutter die letzte Ehre zu erweisen. Und das empfinde ich als etwas sehr Schönes. Ich spüre bei den Angehörigen eine gewisse Unsicherheit (oder vielleicht war es auch mehr eine Überforderung?). Sie stellen David viele Fragen, was das weitere Vorgehen angeht. David ist in meinen Augen in der ganzen Situation eine sehr ruhige, professionelle und empathische Stütze. Jetzt erst verstehe ich, was er meint, als er sagte, dass er seinen Beruf macht, weil er Menschen gerne hilft (siehe Interview).

Nach etwa 15 bis 20 Minuten haben wir den Papierkram erledigt. Wir werden ins Zimmer, in dem die verstorbene Frau liegt, geführt. Das Zimmer ist klein und hölzern eingerichtet. In der Ecke ist das Bett, darin liegt die verstorbene Frau. Neben dem Bett ist eine kleine, hölzerne Kommode, auf der Blumen, ein Foto der Frau aus jüngeren Zeiten, Kerzen und eine Zeichnung, die wahrscheinlich eines ihrer Enkelkinder gemalt hat, zu sehen sind. Ich betrachte die Leiche und zu meiner Überraschung, reagiere ich gar nicht gross auf sie.

Es ist, wie es David vorhin im Auto gesagt hat. Ich bin ruhig und konzentriert, weil ich weiss, dass ich jetzt selbst Hand anlegen muss. David steht vors Bett und hält einen kurzen Moment inne. «Sie sieht sehr friedlich aus», meint er. (Zu meinem Glück) stellen wir dann fest, dass die Frau bereits eingekleidet ist. (David hat nämlich gemeint, dass es durchaus sein kann, dass wir sie noch umziehen müssen.) Wir klären zuerst mit dem Sohn ab, wo wir den Sarg platzieren sollen. Er verlässt nun das Zimmer und wir beginnen mit der Arbeit. Das Bett schieben wir auf die andere Seite des Zimmers. Wir laufen zum Auto, um den Sarg zu holen. Diesen transportieren wir durchs Fenster ins Zimmer (das ist natürlich mit den Angehörigen im Vorfeld so abgesprochen worden). Den Sarg stellen wir neben das Bett. Nun müssen wir sie noch in den Sarg einbetten: David hält ihren Oberkörper während ich meine Arme unter ihre Beine schiebe. Sie fühlen sich ganz steif und ungewohnt an.

Wir heben sie an und legen sie vorsichtig in den Sarg. David platziert sie so, dass sie ganz entspannt und bequem daliegt. Mir fällt auf, dass ihre Augen einen kleinen Spalt offenstehen und ich weise David darauf hin. Er schliesst ihr die Augen. Aus dem Koffer, den er vorhin aus dem Auto mitgenommen hat, packt er Trockenshampoo und einen Kamm aus. Er macht ihr die Haare zurecht. Wir räumen noch alles an seinen Platz zurück und putzen einige Schmutzflecken, die wir vom Regen von draussen mit reingenommen haben, weg. David holt einen der Angehörigen ins Zimmer und fragt noch, ob die Haare so okay seien. «Sehr schön, haben Sie das gemacht. Haben Sie vielen Dank», kommt als Rückmeldung. Wir verabschieden uns von allen und fahren zurück ins Büro.»

Als David zurückkommt, ist Beat bei seiner letzten Arbeit des Tages angekommen: er bettet die Särge ein. Eine gewisse Anzahl steht immer bereit. Er streut Sägemehl ein, bespannt das Holz mit einem Tuch und tackert es fest. Geschickt setzt er einen Nagel nach dem anderen. "Früher war ich um einiges schneller", meint Beat. Grundsätzlich muss er nicht so schnell arbeiten wie am Fliessband. Im Bestattungswesen ginge es nicht darum, der Schnellste zu sein. Sondern den Angehörigen den Abschied zu ermöglichen, der ihnen gut täte.

Wie es in einem Bestattungsunternehmen aussieht, liest Du hier.

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