von Nadia Etter, illustriert von Laura Glanzmann
Ich möchte von einer kleinen Anekdote aus meinem Leben berichten. Es war ein kurzer Augenblick. Es geschah vollkommen unvorhersehbar. Zuerst war ich verwirrt, wusste nicht was ich denken soll. Doch dann, ich musste schmunzeln, gar etwas lachen. Ein Aussenstehender wäre verwirrt gewesen. Eine Person, allein, ohne Begleitung laut lachen zu sehen. Doch will ich dich nicht länger auf die Folter spannen und schildere dir nun meine letzte Begegnung mit einem Bünzli.
Die Situation war folgende: Ich sass, wie ich es öfters tue und so meine Mitmenschen grössten Genusses beobachten kann, im Zug. Im Waggon sassen noch zwei weitere Personen, jeder brav in seinem eigenen Zugabteil. Im Abteil gegenüber, ein junger Mann, enge hellblaue Jeans, schwarze Jacke und weisse Kopfhörer in den Ohren. Weiter hinten eine ältere grauhaarige Dame mit Bundfaltenhose, weisser Bluse, rotem Lippenstift und einem schwarzen Melonenhut auf dem Kopf. Die gefällt mir! Wie stilvoll sie trotz ihres hohen Alters unterwegs war. Hoffe ich doch, dass auch ich, wenn ich mal so alt sein werde, einen so guten Geschmack habe. Doch handelt diese Geschichte nicht von ihr.
Die Zugfahrt ging weiter. Ja, man genoss verschlafen die Ruhe und den Frieden an diesem frischen Freitag. Der Zug tuckerte in die nächste Ortschaft ein. Ein weiterer Typ stieg dazu. Ihr könnt euch ein fast kahlköpfigen mitte-dreissiger vorstellen. So im Stil: «I wohn drum no bi mire Mueter». Könnte sein. Ich stells mir auf jeden Fall so vor.
Der Typ schnappte sich das erste Abteil, legte seine Tasche sachte nieder, hing die Jacke behutsam an den Hacken und nein, er setzte sich nicht einfach hin, wie es sich gehört. Er ging ein Abteil weiter zum jungen Mann mit den weissen Kopfhörern und sprach ihn an. «Chönntet dir äch öichi Füess vom Sitz näh?»
Nur damits gesagt ist, ich finde auch, dass die dreckigen Strassenschuhe nicht auf den Sitz gehören. Und doch musste ich schmunzeln. Wieder einmal war ich beeindruckt, wie sehr uns das Fehlverhalten unserer Mitmenschen kümmert. Der Durchschnitts-Schweizer, der im Normalfall jeden Augenkontakt meidet, geschweige denn eine Konversation mit einem Fremden aufnimmt, wird dank Regelverstosses plötzlich sehr direkt. Es wird verbessert und korrigiert - der Gesellschaft zu liebe. Der Bünzli ist ein guter Bürger. Gäbs ihn nicht, hätten wir nur noch dreckige Sitze im Zug.
Der junge Mann, nahm verwirrten Blickes die Füsse vom Sitz und stöpselte grinsend die Kopfhörer wieder ein. Wahrscheinlich dachte er das Gleiche wie ich. Ich fühlte ich mich bestens unterhalten. Zugfahren ist gut.