Was wolltest du werden und was möchtest du noch werden?

Schon als ich ganz klein war, wollte ich Kindergärtnerin werden. Das wurde ich dann tatsächlich auch. Diese Arbeit hat mir sehr gut gefallen. Aber ich merkte schnell, dass ich lieber mit einzelnen Kindern arbeiten würde. Irgendwann ergab sich die Gelegenheit, eine Ausbildung zur Logopädin zu absolvieren. Damit war ich dann sehr glücklich. Auch nach einem langen Unterbruch, während meiner Mutterschaft, konnte ich wieder in den Beruf einsteigen. Das war damals sehr avantgardistisch.
Nach meiner Pensionierung schaute ich mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf diese Zeit zurück. Einerseits weinend, wegen der praktischen Arbeit mit den Kindern und andererseits lachend, wegen der immer grösser werdenden Bürokratie, die mir nicht behagte.
Jetzt beschäftigen mich die grossen Zusammenhänge im philosophischen Sinne. Darum verbringe ich meine Zeit oft mit Literatur und den bildenden Künsten. Ich diskutiere viel und gerne mit meinem Mann oder mit Leuten, die zu uns zu Besuch kommen. Für die Zukunft erhoffe ich mir, dass ich das noch lange tun kann, denn es bereichert mich enorm. Berufstätig möchte ich nicht mehr sein. Ich bin froh, die Zeit jetzt für mich zu haben und mich auf eine innere Reise begeben zu können.

Wie sieht die perfekte Welt in deinen Augen aus?

Das ist eine sehr schwere Frage. Perfekt wird sie nie sein. Von mir aus muss eine bessere Welt nicht nivelliert gleich sein. Das heisst, es müssen nicht alle gleich sein, gleich viel besitzen und gleich viel können. Aber alle Menschen sollten, dort wo sie leben oder arbeiten Wertschätzung erfahren. Egal ob sie arm oder reich, klein oder gross, jung oder alt, gesund oder krank sind. Denn diese Wertschätzung braucht es, um ein erfülltes Leben zu führen. Das gilt auch für Flüchtlinge oder Gefangene. Aber es muss nicht alles gleich sein. Das finde ich wichtig. Denn auf diese Art wäre die Welt auch etwas gerechter. So würden alle respektiert werden. Vielmehr kann ich mir gar nicht wünschen. Denn gleich werden wir, aus welchen Gründen auch immer, nie sein. So kämen wir dem Frieden vielleicht etwas näher, denn der Einzelne könnte so ein glücklicheres Leben führen.

Wenn du einen Wunsch zur Verfügung hättest, was würdest du dir Wünschen?

Ich habe zwei Wünsche, einen praktischen und einen philosophischen.
Der Praktische ist ein ganz kleiner, persönlicher Wunsch. Es ist beinahe etwas lächerlich. Ich hätte ganz gerne nochmals einen jungen Esel, um seine Entwicklung zu verfolgen. Das finde ich etwas wunderschönes. Ich habe das Gefühl, dass ich es jetzt, da ich mehr Zeit habe, richtig geniessen könnte.
Der zweite Wunsch ist etwas anderes. Ganz grob gesagt, wünsche ich mir, dass man im Alter nicht zur «Pest» wird für die anderen. Ich möchte gerne als eine Art Vorbild in Erinnerung bleiben und wünsche mir, dass man es schafft, trotz hohen Alters etwas Freude zu verbreiten. Wenn man pflegebedürftig wird, ist es natürlich etwas anderes, doch auch dann wäre es schön, seinen Mitmenschen ein Lächeln auf das Gesicht zaubern zu können und liebenswürdig zu bleiben.